Darkstars Fantasy News


18. September 2011

Sissi, Werther und wandelnde Tote
Interview mit Claudia Kern und Susanne Picard

Category: Interviews – Darkstar – 14:00

Die Leichen des jungen WertherSeit Seth Grahame-Smith mit „Stolz und Vorurteil und Zombies“ einen Überraschungshit landete, sind Klassiker-Mash Ups groß in Mode gekommen. In diesem Frühjahr sind bei Panini zwei dieser Romane aus deutscher Feder erschienen: Claudia Kerns „Sissi die Vampirjägerin – Scheusalsjahre einer Kaiserin“ und Susanne Picards „Die Leichen des jungen Werther“. Da ich nicht nur beide Autorinnen mag, sondern sich die beiden auch privat kennen, habe ich sie um ein Gemeinschafts-Interview gebeten.

Im Folgenden berichten die beiden von ihren Erfahrungen mit Untoten (Blutsaugern wie wandelnden Leichen), davon, wie sie zum Schreiben gekommen sind und was die größten Herausforderungen beim Verfassen ihrer jeweiligen Mash Up-Romane war …

Interview mit Claudia Kern und Susanne Picard

Wieso ausgerechnet Werther und Sissi? Wieso habt ihr euch dazu entschlossen, gerade diese Klassiker umzufrisieren?

Susanne Picard (SP):

Um ehrlich zu sein, das war nicht meine Idee. Es war die Idee von Jo Löffler, dem Chefredakteur von Panini. Er sagte, dass er den Werther in der Schule gehasst habe und deshalb ein Mash-Up als eine Art Genugtuung ansehen würde. Er wolle eine Parodie, die den Charakter des Briefromans beibehält. Ich fand das eine fantastische Idee. Ich war sofort begeistert, obwohl oder gerade weil ich zu den Leuten gehöre, die das Buch mögen. Wohlgemerkt mag ich nicht die Person Werther, deren Empfindsamkeit habe ich persönlich nie so recht nachvollziehen können. Aber ich mag Goethes Sprache – sein Wahlverwandtschaften gehört zu meinen Lieblingsbüchern – und halte sein Jonglieren mit Begriffen und Formulierungen bis in unsere Zeit für unerreicht.

Als Jo mir also ein Mash-Up von Werther und Zombies vorschlug, war meine Antwort sofort ein knappes, aber deutliches: „Ja. Klar mach ich das!“. Ich glaube, er war sehr verblüfft und hatte nicht damit gerechnet.

Claudia Kern (CK):

Sissi - Scheusalsjahre einer KaiserinSissi bot sich aus mehreren Gründen an. Zum einen kennt fast jeder, der seine Jugend nicht in Nordkorea verbracht hat, die Filme mit Romy Schneider, aber kaum jemand weiß, wie Elisabeth von Österreichs Leben tatsächlich verlaufen ist. Der Mythos, der um sie herum entstanden ist, hat ihr eigentliches Leben überdeckt und in ein Märchen verwandelt. Dazu passt der übernatürliche Aspekt richtig gut.

Beschreibt doch bitte mal in eigenen Worten, worum es in euren jeweiligen Büchern geht.

CK: Der Roman setzt an dem Punkt ein, an dem auch der erste Film beginnt: Sissi führt ein weitgehend sorgenfreies, recht wildes Leben auf einem Anwesen in Bayern und wird gleichzeitig von ihrem Vater, dem Anführer eines jahrtausendealten Ordens, der sich der Vernichtung der vampirischen Oberklasse verschrieben hat, zur Vampirjägerin ausgebildet. … Okay, ich gebe zu, dass die Handlung an diesem Punkt leicht vom Film abweicht.

In der Welt des Romans wird Europa von einer im Geheimen agierenden Vampirjunta regiert, die praktisch den gesamten Hochadel bildet. Um ihnen einen empfindlichen Schlag zu versetzen, soll Sissis Schwester Nene Kaiser Franz von Österreich heiraten und umbringen. Dieser Plan gerät jedoch ins Wanken, als Franz sich stattdessen in Sissi verliebt – und sie sich in ihn.

SP: Die Thematik ist eigentlich die gleiche wie in dem Klassiker. Werther wird als Jura-Referendar in eine Kleinstadt geschickt, um den Ernst des Lebens kennen zu lernen (was er gar nicht will) und verliebt sich dort unsterblich in die Tochter des Gerichtsrats. Doch die Umstände sind nicht so, dass sie beide zusammenfinden könnten. Denn: Lotte stellt sich als Zombie heraus. Überhaupt wissen in dieser Kleinstadt alle über Zombies Bescheid, nur Werther will die Anzeichen nicht erkennen, denn er ist viel zu eingebildet und arrogant dazu. Er muss auf die harte Tour lernen, dass Lotte zwar durchaus fleischliches Verlangen nach ihm hat, aber auf ganz andere Weise, als er glaubt. Und dann taucht auch noch der forsche Zombiejäger Albert Kestner auf und macht ihm zusätzlich das Leben schwer.

Schließlich weiß sich Werther nicht mehr zu helfen: er bittet Baron Victor von Frankenstein um Hilfe. Natürlich geht alles schief, was schief gehen kann, aber trotzdem kann Werther schließlich mit Lotte in die Wälder flüchten. Wo sie wahrscheinlich Hirn bis an ihr Lebensende fressen und glücklich sind, aber wer will das schon so genau wissen.

Was ist aus Autorensicht das Reizvolle an Klassiker-Mash Ups?

SP: Es ist eine Herausforderung. Ich mag die neue Sicht, die eine solche Mischung aus Klassiker und dem eher trivial angesehenen Horror auf die Vorlage werfen kann. Aber das funktioniert meines Erachtens nur dann, wenn man die Vorlage kennt – und liebt. Ich kann jetzt nur für mich und den Werther sprechen, aber mir war wichtig, dass man der Leser das Original erkennen und trotzdem darüber lachen kann.

Ich wusste, es ist mir gelungen, als eine gute Freundin mir sagte, sie habe es eine Weile weglegen müssen, weil es sie zu sehr an Werther erinnert hat, den sie in der Schule gehasst hat.

CK: Mich reizt vor allem der Aspekt, einer altbekannten Geschichte oder einer Person, ob historisch oder erfunden, ein neues Gesicht zu geben, ohne sie dabei komplett zu verfälschen. Bei Sissi funktioniert das so gut, weil man die Figur komplett beibehalten und ihr nur eine weitere Ebene hinzufügen muss. Bei anderen, sagen wir mal Gandhi, wäre das sicherlich schwieriger gewesen.

Wieviel und welche Art Recherche war für dich notwendig, um das Buch zu schreiben?

CK: Ich war hart zu mir und habe mir alle drei Filme angesehen, den ersten sogar mehrfach, um die Stimmung richtig zu verstehen. Dann habe ich die ersten hundert Seiten einer Sissi-Biographie gelesen, aber aufgegeben, als mir klar wurde, dass ihr reales Leben leider kaum Anlass für Comedy bietet… oder Vampire. Trotzdem habe ich einiges aus ihrem Leben übernommen und anderes würde ich gern später, sollte es denn einen weiteren Teil geben, ansprechen. Vor allem Sissis Tattoo.

SP: Mir ist das Schreiben erstaunlich leicht gefallen, ich war selbst überrascht. Es floss mir förmlich aus der Feder. Ich habe den Werther vorher noch mal quer gelesen, um up to date zu sein und hatte den Text und eine Liste mit Goethe-Zitaten für den Fall der Fälle beim Schreiben neben mir liegen, um entweder Textteile oder andere Zitate in mein Manuskript einzubringen. Aber die altmodischen Formulierungen und die Begrifflichkeiten zu verwenden fiel mir leicht. Mich überrascht bis heute, dass die meisten Leute, die meinen Werther gelesen haben, mich nach dieser oder jener Formulierung fragen, die ihnen nicht geläufig ist und die ich beim Schreiben fast schon unbewusst verwendet habe.

Wie schon gesagt, ich mag diese Art der altmodischen Sprache und habe viele Romane aus der Zeit oder in diesem Stil zu meinem puren Vergnügen gelesen. Daher war für mich nicht viel Vorarbeit nötig.

Was war die größte Herausforderung an eurem jeweiligen Projekt?

SP: Dem Original-Werther und damit Goethes wunderbarer Sprache gleichzeitig treu zu bleiben und doch mein ganz eigenes Ding aus dem altbekannten Thema zu machen. Viele sagen, das sei mir gelungen, das freut mich natürlich sehr.

Aber noch etwas war herausfordernd: Ich bin alles andere als ein Zombie-Fan. Zombies sind für mich die eindimensionalsten Horror-Wesen, die es gibt. Ich habe Jo damals sogar gefragt, ob es unbedingt Zombies sein müssen, mit denen Werther sich auseinandersetzen muss und ob er sich nicht auch andere Horrorwesen vorstellen kann. Aber da schon feststand, dass Claudias Sissi gegen Vampire antreten sollte, blieben für mich nur die Zombies.

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich darauf kam, dass gerade die Zombie-Thematik hervorragend ins Werther-Konzept passt.

CK: Sagte ich schon, dass ich alle drei Filme gucken musste?

Davon abgesehen waren das sicherlich die bayerischen und österreichischen Dialekte. Zum Glück hat mir die bayerische Autorenkollegin Uschi Zietsch geholfen, die Dialoge entsprechend einzufärben.

Wie seit ihr eigentlich überhaupt zum Schreiben gekommen?

SP: Zufall. Ich bin seit 1999 sogenannte Ablauf-Redakteurin. Diese Art von Redakteuren ist verantwortlich – wie der Name sagt – für den Ablauf von Sendungen und Medienprojekten. Zuerst habe ich mehrere Jahre eine Wirtschaftssendung für die Bavaria-Film in München betreut, dann habe ich ein Jahr beim Bastei-Verlag als Redakteurin der Heftromanserien Sternenfaust und Professor Zamorra gearbeitet. Seit 2008 arbeite ich als freie Lektorin, Übersetzerin und Autorin. Professor Zamorra betreue ich immer noch. Ich habe auch dafür geschrieben.

CK: Ich wollte nie wieder früh aufstehen müssen.

Was macht euch beim Schreiben am meisten Spaß? Und was könnt ihr dabei überhaupt nicht ausstehen?

CK: Wenn es läuft und man die Szenen, die man schreiben will, einfach nur aus der eigenen Phantasie abschreiben muss, ist Schreiben der geilste Job der Welt. Wenn es aber nicht läuft und man eine geschlagene Viertelstunde auf einen blinkenden Cursor starrt, ohne auch nur einen Buchstaben zu schreiben, dann fragt man sich schon, ob früh aufstehen wirklich so schlimm ist.

SP: Mir macht das Formulieren Spaß, die Arbeit mit Sprache an sich. Der Gedanke, dass ich in anderen Menschen mit einer Formulierung, einem Begriff, einer Beschreibung den gleichen Gedanken, die gleichen Gefühle wecken kann, die ich dabei selbst habe. Dabei ist mir gar nicht so wichtig, ob mir eine Handlung vorgegeben wird oder ob sie von mir stammt. Das ist bei mir vielleicht anders als bei vielen anderen Autoren, denen es darum geht, eine selbst ausgedachte Geschichte an den Leser zu bringen, egal wie. Das Übersetzen und Lektorieren fällt ebenfalls in diese Kategorie: Man gießt einen Sachverhalt, eine Geschichte, einen Text in eine sprachliche Form, die bei möglichst vielen Lesern ankommen soll.

Was ich gar nicht ausstehen kann, ist, mir einen Plot auszudenken. Ich breche mir da jedesmal einen Zacken aus der Krone. Ich fürchte, darin bin ich nicht sonderlich überragend, besonders, da meine Vorstellungen von interessanten Sachverhalten und Charakteren oft nicht denen der Allgemeinheit entsprechen. Aber so gesehen ist das eine Herausforderung: Wenn mir die Geschichte, die Thematik an sich gefällt, dann gehört das Formen zu einer erzählbaren Geschichte auch zu dem, was mir am Schreiben Spaß macht: das zu vermitteln, was mir daran gefällt. Und ich mag Herausforderungen.

Welches Projekt steht als nächstes an?

SP: Da ist eine High Fantasy-Trilogie, die ich mir ausgedacht habe. Aber ich stecke da noch in dem Teil der Arbeit, den ich eigentlich nicht ausstehen kann – mir eine detaillierte Handlung auszudenken, die nicht nur ich gut finde, sondern die auch den Leser anspricht und die logisch ist. Und dabei auch noch etwas Besonderes bleibt. Für mich grenzt das an die Quadratur des Kreises. Es ist das erste Mal, dass ich die Geschichte selbst über eine so lange Strecke entwickele und bis jetzt habe ich keine Ahnung, ob ich das schaffen werde. Ich hoffe es, denn ich habe schon den Ehrgeiz, das hinzukriegen. Aber wenn das Expo erst einmal steht, wird das Schreiben wohl einfach.

CK: Momentan warte ich darauf, dass mein erster historischer Roman “Das Schwert und die Lämmer” im November erscheint und arbeite bereits am zweiten mit dem Arbeitstitel “Pestmasken”, bei dem es um die große Pestepidemie im mittelalterlichen Köln geht.

Vielen Dank!

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