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11. November 2019

Interview mit Karen M. McManus

Category: Interviews – Darkstar – 20:31

Karen McManus Christian Handel FBM2019Im Oktober diesen Jahres hat die amerikanische Jugendbuchautorin Karen M. McManus Deutschland besucht. Nicht zuletzt, weil ihr im vergangenen Jahr erschienener Krimi “One of us is lying” für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert wurde.

Während der Frankfurter Buchmesse durfte ich McManus zu einem Interview treffen. Offen unterhielt sie sich mit mir über das Schreiben, über die anstehende Verfilmung ihres ersten Romans und natürlich über ihr aktuelles Buch Two Can Keep A Secret

Interview mit Karen M. McManus

In Ihren beiden bisher veröffentlichten Romanen geht es um das Bewahren und Lüften von Geheimnissen. Wie gut sind Sie selbst darin?

Ich bin hervorragend darin, Geheimnisse zu bewahren, wirklich.

In der Buchbranche muss man das wohl auch sein. Es gibt so viele Dinge, über die man nicht sprechen darf. Gerade wurden Details zu meinem übernächsten Roman bekannt gegeben – und auf diesen Informationen habe ich schon ewig wie auf glühenden Kohlen gesessen.

ONE OF US IS LYING wurde von einem Song aus dem Soundtrack zum 80er Jahre-Film The Breakfast Club inspiriert. Wie war das bei TWO CAN KEEP A SECRET?

Da kamen unterschiedliche Inspirationen zusammen. Zunächst kam das Setting. Ich hatte wirklich große Lust darauf, einen Krimi in einer Kleinstadt in New England anzusiedeln. In einer solchen wuchs ich nämlich selbst auf. Ich liebe dieses Motiv der scheinbar perfekten Stadt, unter deren Oberfläche es gewaltig brodelt.

Two Can Keep A SecretDann erinnere ich mich daran, eine Folge von Unsolved Mysteries gesehen zu haben, eine Doku-Serie, die ich sehr gern schaue.

Es ging um einen Teenager, der bereits viele Jahre lang vermisst wurde. Die Folge konzentrierte sich auf die Eltern, die ihr Kind verloren hatten – sie brach einem wirklich das Herz.

Die Eltern hatten inzwischen andere Kinder. Das brachte mich zum Nachdenken darüber, wie es wohl wäre, im Schatten von jemandem aufzuwachsen, den man nie kennen gelernt hat. Sei es nun die eigene Mutter, Schwester oder Cousine.

Das war der Ausgangspunkt für Ellory – ein junges Mädchen, das nie seiner Tante begegnet ist und deren Mutter nach dem ungeklärten Verschwinden der eigenen Zwillingsschwester nie wieder dieselbe war.

War es leichter, dieses Mal nur aus der Sicht zweier Figuren zu schreiben statt aus der von vieren?

Oh ja, allerdings!

Es gab eine Zeit, in der ich mit dem Gedanken spielte, Ezra und Mia – zwei wichtigen Nebenfiguren – ebenfalls eigene Kapitel einzuräumen. Aber dann begriff ich, dass das für die Geschichte nicht zwangsläufig notwendig war und dann sollte man das auch nicht machen. Zumal man sich so auch einiges an Arbeit erspart, weil man dann für diese Figuren nicht ganz so komplexe Storybögen und Hintergrundgeschichten entwickeln muss.

Dennoch war ich froh, dass die beiden einen so großen Part in der Geschichte einnehmen, weil sie queer sind.

Unter meinen Lesern gibt es sehr viele LGBTler und es ist mir wichtig, dass sie Figuren in meinen Büchern finden, mit denen sie sich verbunden fühlen.

Kommen in ihren kommenden Büchern also auch queere Figuren vor?

Allerdings!

Was war das seltsamste Thema, über das Sie bisher recherchiert haben?

Darüber muss ich nachdenken …

Auf alle Fälle habe ich extreme viel darüber recherchiert, wie man einen Vergnügungspark zum Thema Halloween führen würde. Dieses Setting sollte in TWO CAN KEEP A SECRET eigentlich eine größere Rolle spielen.

Dazu muss ich sagen, dass mir Settings nicht leicht fallen. Figuren, Dialoge und der Plot – das ja. Aber Settings. Puh! Da muss ich wirklich viel Zeit und Arbeit reinstecken.

Ellory arbeitet im Buch auf diesem makabren Vergnügungspark. In welcher Attraktion hätten Sie auf der Fright Farm gearbeitet?

Haha! Definitiv im Geisterhaus.

Sie haben einmal gesagt, Sie mögen den Ratschlag, man solle das Buch schreiben, das einem selbst Angst einjagt. Inwiefern haben Ihre Bücher Ihnen Angst eingejagt?

Ich mag diesen Spruch, weil er für mich bedeutet, dass man sich aus seiner eigenen Komfortzone herausbewegt.

Als mir die Idee zu ONE OF US IS LYING kam, hatte ich noch nie einen Krimi geschrieben. Ich hatte noch kein Manuskript mit vier Point of View-Figuren geschrieben. Ich hatte noch nicht einmal etwas mit zwei Point of View-Figuren geschrieben.

One of us is lyingIch saß da und hab mich gefragt: Kann ich das wirklich schaffen? Wem mache ich eigentlich etwas vor? Das wird entweder das Beste, was ich bisher geschrieben habe, oder ein absolutes Desaster.

Ich glaube, sich darauf einzulassen, dass das, was man erschaffen könnte, sich als Desaster herausstellt, ist eine gute Sache. Denn es wirkt befreien. Und in diesem Fall ging es gut aus.

Was TWO CAN KEEP A SECRET angeht:

Noch nie zuvor hatte ich einen so vielschichtigen Krimiplot aufgebaut. Es gibt acht unterschiedliche Mystery-Plots. Ist das zu viel, habe ich mich gefragt. Aber ich wollte es unbedingt ausprobieren und sehen, ob mir das gelingen könnte. In kreativer Hinsicht ist das ein guter Weg.

Bis zu welchem Zeitpunkt im Veröffentlichungsprozess waren Sie denn verängstigt?

Es ist immer schwierig zu sagen, wann ein Buch “fertig” ist.

Für ONE OF US IS LYING, mein erstes veröffentlichtes Buch, hatte ich Kritikpartner. Diese hatten auch meine anderen beiden, unveröffentlichten Bücher gelesen.

Und diesmal verhielten sie sich ganz anders. Sie baten mich darum, ihnen neue Kapitel zu schicken, denn ich teilte das Manuskript mit ihnen während des Schreibens nach und nach. Sie haben so stark auf die Figuren reagiert und sich auf das Buch eingelassen und das hat mir das Gefühl vermittelt: Okay, vielleicht schreibe ich da gerade etwas, das Potential hat. Denn es fühlte sich ganz anders an als vorher.

Und Ihr zweites veröffentlichtes Buch: War das Schreiben leichter oder schwerer?

Es war schwieriger, denn ein zweites Buch ist für viele AutorInnen ein anstrengenderes Unterfangen. Oftmals ist es das erste Mal, dass man unter Vertrag schreibt und mit einer Deadline arbeitet. Und zu wissen, dass man gerade etwas schreibt, was wirklich jemand lesen wird, wirkt sich auch ganz schön auf die Psyche aus.

Es war also in der Hinsicht leichter, als dass ich wusste, was auf mich zukam. Aber auch schwieriger, weil ich immer noch neu im Geschäft und dabei war, meine eigene Stimme zu finden und meinen eigenen Schreibprozess – aber unter viel größerer Beobachtung.

Was mögen Sie daran, Kriminalromane für Jugendliche zu schreiben?

Ein anderer Spruch, den ich mag ist: Schreib das Buch, das du selbst gern lesen würdest.

Als Teenager hätte ich meine Bücher wirklich gemocht. Ich liebte Krimis und damals gab es nicht so viele, die auf mein Alter zugeschnitten waren.

Und ich mag das Alter der Protagonisten. Zu dieser Zeit im Leben entwickelt man seine persönliche Sicht von der Welt und sucht nach dem eigenen Platz darin. Es geht also viel um das Innenleben der Figuren.

Wenn man darauf noch einen Krimiplot packt, der von der äußeren Handlung dominiert wird, ergibt das einen sehr spannenden Mix.

Sie bezeichnen sich selbst sowohl als Planerin als auch als Drauflos-Schreiberin. Wie ist letzteres bei einem Krimi überhaupt möglich?

One of us is nextIch habe mich so bezeichnet, weil ich bei ONE OF US IS LYING wirklich einfach drauflos geschrieben habe. Es gab kein Outline, keinen großen Plot.

Das hat funktioniert, auch wenn ich natürlich später noch einmal das Manuskript durchgehen musste, um Hinweise einzustreuen. Denn als ich den Roman schrieb, dachte ich nicht wie eine Krimi-Autorin. Beim Schreiben war es für mich eher eine Charakterstudie.

Ich muss dazu sagen, dass dieses Buch für mich wie ein Blitzeinschlag war. Es war auf einmal in meinem Kopf. Von A bis Z.

Bei TWO CAN KEEP A SECRET war das ganz anders. Die Grundidee war da – aber die musste ich ganz schön pflegen.

Anfangs versuchte ich, das Buch genau so zu schreiben wie ich es bei ONE OF US IS LYING gemacht hatte, weil ich dachte, so arbeite ich nun mal. Ich schreibe und entdecke alles weitere in dieser Phase. Aber das war nicht der Fall.

Ich habe es mehrfach umschreiben müssen. Und so bin ich zum Plotten gekommen. Als ich im zweiten Entwurf feststeckte und mir eingestehen musste, dass das Manuskript einfach nicht funktionierte, begriff ich, dass ich anders vorgehen musste. Ich legte den Text zur Seite und habe ein sehr ausführliches Outline geschrieben. Und danach floss das Schreiben wieder.
Also mache ich es jetzt immer so.

ONE OF US IS NEXT, die Fortsetzung von ONE OF US IS LYING, habe ich sehr ausführlich geplottet und das Schreiben fiel mir leicht.

Und mein übernächstes Buch, THE COUSINS, war ein weiterer Blitzeinschlag. Trotzdem habe ich es vor dem Schreiben vollständig ausgeplottet, weil dieses Vorgehen sich für mich einfach auszahlt.

ONE OF US IS LYING wird vielleicht eine TV-Serie. Was können Sie uns darüber schon verraten?

Der US-Sender NBC hat die Rechte erworben und eine Pilotfolge für die Serie bestellt.

Zum Zeitpunkt dieses Interviews (Buchmesse-Freitag) casten wir noch die Schauspieler. Im November soll aber bereits gedreht werden. Und Jennifer Morrison (Emma Swann aus Once Upon A Time) wird Regie führen.

Das ist natürlich sehr aufregend, aber man muss schauen, wie es dann weitergeht, denn so ist eben der Ablauf in der Branche: ein Pilot wird gedreht, der Sender schaut ihn sich an, hat vielleicht Änderungswünsche. Dann muss man abwarten, ob der Sender die Serie auch tatsächlich beauftragt.

Falls es dazu kommt, soll die Serie auf Peacock laufen, der eigenen Streamingplattform von NBC, die im Frühjahr 2020 an den Start geht. Wenn aus ONE OF US IS LYING eine Serie werden sollte, läuft sie vermutlich frühestens im Herbst 2020 an.

Haben Sie eigene Lieblingsserien?

Sogar viele. Pretty Little Liars zum Beispiel oder Gossip Girl.

Und ich habe Twin Peaks geliebt, was auch eine Art Inspiration für TWO CAN KEEP A SECRET war.

In ihrem nächsten Roman geht es um das Spiel Wahrheit oder Pflicht. Für was würden Sie sich entscheiden?

Pflicht. Wie vermutlich die meisten Leute.

Es ist viel weniger beängstigend, etwas zu tun als etwas von sich preiszugeben.

Wann wussten Sie, dass Sie Autorin werden wollten?

Mit dem Schreiben fing ich ungefähr mit acht Jahren an. Ich erzählte jedem, dass ich eines Tages Autorin werden wollte. Das blieb bis zur Highschool so.

Da gab ich es dann für eine Weile auf. Ich empfand es als schwierig und vielleicht fühlte es sich auch sehr einsam an in einer Zeit in meinem Leben, in dem mir Treffen mit Freunden usw. wichtiger waren. Ich glaubte damals auch nicht, dass Autorin ein richtiger Beruf sei und ich damit wirklich Geld verdienen könnte.

One of us is lying USIch dachte lange nicht darüber nach – und dann las ich DIE TRIBUTE VON PANEM als Erwachsene und das hat mich richtiggehend inspiriert.

Zum ersten Mal seit Jahren wollte ich auch selbst wieder etwas schaffen. Also schrieb ich mein erstes Buch – einen richtig schlechten PANEM-Abklatsch.

Natürlich war das Manuskript nicht veröffentlichbar. Aber dadurch fand ich zurück zum Schreiben.

Sie sagen, Schreiben fühlte sich einsam an. In ihrem Nachwort erwähnen Sie andere Jugendbuchautorinnen. Ist Schreiben also nicht mehr einsam?

Das war für mich wirklich der Game Changer!

Als ich in Higschool war, kannte ich niemanden sonst, der auch schrieb. Es gab niemandem, mit dem ich darüber reden konnte, wenn das Schreiben gerade anstrengend war, oder wenn ich irgendwo feststeckte oder wenn ich einfach nur ein bisschen Ermutigung und Unterstützung gebraucht hätte.

Als ich mich auf Twitter anmeldete und mit all diesen anderen Autorinnen und Autoren in Kontakt trat, änderte sich das alles. Wir tauschten Texte miteinander, unterstützten uns – ich wurde zu einem Teil einer Community. Plötzlich war ich als Autorin nicht mehr einsam. Natürlich schreibt man immer noch für sich allein an der Tastatur – aber man ist nicht mehr allein.

Sie unterstützen sich also gegenseitig?

Ich hatte das große Glück, gleich zu Beginn ein paar sehr gute Freundschaften zu knüpfen. Es handelt sich dabei um Autor*innen, die ich nicht nur persönlich mag, sondern deren Geschichten ich ebenfalls liebe, und das ist echt wichtig. Außerdem haben wir eine ähnliche Art, Kritik zu äußern, das hilft auch.

Es gibt drei oder vier Leute, mit denen ich fast von Anfang an zusammenarbeite – und inzwischen sind wir alle veröffentlicht. Wir haben zusammen angefangen und das Schreibbusiness gemeinsam entdeckt. Jetzt arbeitet jeder an seinem zweiten, dritten oder vierten Buch! Wir haben leider nicht mehr die Zeit, alles voneinander zu lesen, aber wir sind immer noch füreinander da.

Last but not least: Wenn Sie vier fiktive Figuren aussuchen dürften, mit denen Sie zum Nachsitzen müssten, für wen würden Sie sich entscheiden?

Oh wow! Mal sehen …

Okay, Katniss Everdeen müsste unbedingt mitkommen. Nicht nur ist sie einfach großartig. Wenn irgendwas aus dem Ruder laufen würde, hätte ich sie gern an meiner Seite.

Und dann noch Simon aus Love, Simon. Er ist einfach ein Schatz und ich würde gern mit ihm Zeit verbringen.

Außerdem liebe ich die Elias & Laia-Reihe von Sabaa Tahir. Sie entwickelt unglaubliche Figuren wie zum Beispiel Helene – die würde ich gern näher kennen lernen.

Und als letztes entscheide ich mich für Miss Marple, einfach weil ich ein riesiger Agatha Christie-Fan bin und gern einen Blick in ihren Kopf werfen würde.

Vielen Dank!

Karen McManus’ Website findet ihr hier.

Meine Rezensionen zu ihren Büchern:

   One of us is lying

   Two can keep a secret

Vielen Dank an den cbj Verlag für das Möglich-Machen des Interviews!