Charlotte Westing ist ein Orakel:
In Visionen kann sie einen kurzen Blick in die Zukunft werfen. Visionen, vor denen sie sich unbedingt verschließen muss. Jedenfalls predigt ihr das ihre Tante Sierra immer wieder, die einzige, die von Charlottes Fähigkeiten weiß, da sie selbst ein Orakel ist. Ansonsten hält Sierra sich, was die Gaben eines Orakels angeht, frustrierend bedeckt.
Trotzdem befolgt Charlotte seit vielen Jahren Sierras Regeln. Denn sie hat die bittere Erfahrung machen müssen, was passiert, wenn man versucht, die Zukunft zu beeinflussen. Als Sechsjährige hat sie versucht, den Tod ihrer Tante zu verhindern. Es ist ihr gelungen, aber dafür starb ihr Vater und ihre Mutter sitzt seither im Rollstuhl.
Im Verdrängen von Visionen wird Charlotte besser und besser – bis sie eines Tages von einer so mächtigen überrollt wird, dass sie sich nicht gegen sie stemmen kann. In ihr sieht Charlotte eine ihrer Mitschülerinnen, grausam ermordet. Als der Mord kurz darauf tatsächlich passiert, plagen Charlotte Gewissensbisse. Hätte sie den Tod des Mädchens verhindern können?
Doch schon bald bedrängen Charlotte weitere Visionen, weitere Morde geschehen. Bald ist klar: In ihrem Heimatstädtchen ist ein Mörder unterwegs. Und es liegt in ihrer Macht, den Killer aufzuhalten. Aber wenn sie das tut: Welchen Preis muss sie dafür zahlen?
“Dangerous Visions – Es liegt in deiner Hand” ist ein paranormaler Jugendthriller, der sich flüssig und spannend liest. Die Verbindung von Charlottes paranormaler Fähigkeit und Thrillerplot funktioniert sehr gut. Die Orakel-Mythologie, die Aprilynne Pike sich hier ausgedacht hat, ist spannend, zumal man erst nach und nach in sie eintaucht. Der Roman ist in sich abgeschlossen, aber ich hoffe dennoch, dass das Sequel zum Buch auch hierzulande erscheint und man darin noch mehr über die Rolle der Orakel und die geheimnisvolle Schwesternschaft von Delphi, die im Roman erwähnt wird, erfährt. Wenn es um ein Label geht, so würde ich das Buch in die gleiche Schublade packen wie die TV-Serie Tru Calling, die mit ähnlichen Motiven gespielt hat.
Die Handlung schreitet schnell voran. Recht bald ist klar, dass der Mörder aus Charlottes Bekanntenkreis stammen könnte, und da die 16jährige sehr zurückgezogen lebt, engt sich der Kreis der Verdächtigen beim Leser recht schnell auf drei Personen ein. Es ist Pike jedoch zu Gute zu halten, dass es ihr bis zur Enthüllung der Identität des Killers gelingt, den Leser zu verunsichern, wer es nun tatsächlich ist. Nachdem der Mörder entlarvt ist, ist das Happy End aber noch nicht in Sicht. Denn Charlotte muss lernen, ihre Fähigkeiten in den Griff zu bekommen, um den Mörder wirklich unschädlich zu machen.
Krimiplot und paranormaler Anteil halten sich im Buch sehr gut die Waage; besonders schön ist, dass es der Autorin gelingt, in die Handlung noch eine Romanze einzuweben, die überhaupt nicht bemüht und aufgesetzt wirkt und den Lesefluss auch nicht hemmt. Und, dass sie ein Ende findet, in dem zwar alles “gut ausgeht”, das einem aber doch ein kleines bisschen das Herz brechen lässt.
“Dangerous Visions – Es liegt in deiner Hand” ist nicht weltbewegend, aber solide und wirklich nett. Bisher habe ich um die Bücher der Autorin einen Bogen gemacht. Jetzt überlege ich, ob ich doch mal in “Elfenkuss” reinlesen sollte.
Neugierig geworden?
