Darkstars Fantasy News


11. April 2008

Kai Meyer und das Nibelungenlied

Category: News – Darkstar – 13:30

Nibelungengold (Cover)In seinem Journal auf seiner Website nutzt Kai Meyer die Gelegenheit, den Auszug aus einem Interview abzudrucken, das zwei Studentinnen mit ihm zum Thema “Nibelungenlied” geführt haben. Meyer hatten sie ausgewählt, weil er selbst mehrere Romane geschrieben hat, die im Dunstkreis dieser Sage spielen.

Im Interview verrät der Autor unter anderem, was ihn dazu veranlasst hat, eben jene Romane zu schreiben und was für ihn Fantasy ist.

Auf diese letzte Frage antwortet er:

“In erster Linie die Möglichkeit, den so genannten “sense of wonder” beim Leser zu erzeugen. Ein Staunen, wenn er mit Bildern und Situationen konfrontiert wird, die ihm in der Realität nicht begegnen werden. Manchmal absichtlich, oft auch ungewollt werden diese Bilder zu Symbolen – und dann bietet die Fantasy die Möglichkeit, den Lesern auch ein wenig mehr über sich selbst und ihre Wirklichkeit zu erzählen. Überhöhung von Szenerien, vor allem aber von Emotionen ist der Schlüssel zu vielen meiner Geschichten und Charaktere.”

Meyer meint weiterhin, dass Fantasy einen mythologischen Hintergrund haben muss – wenn auch nicht immer explizit. Wie fast jede realistische Geschichte, die von einem Charakter erzählt, der sich gegen höhere Mächte auflehnt – hier nennt er als Beispiel einen Staatsanwalt im Kampf gegen die Mafia – folge die Fantasy meist der “Reise des Helden” (ein Konzept des Mythenforschers Joseph Campbell). “Mythen bilden das Grundgerüst”, bekräftigt er, “ganz gleich, ob ich sie beim Namen nenne oder nicht.”

Als er die vier Romane geschrieben habe, die mittlerweile im Sammelband “Nibelungengold” zu finden sind, habe er sich gefragt, weshalb eigentlich die Buchhandlungen voll seien mit Bearbeitung der Artus-Saga, aber nur vergleichsweise wenige Adaptionen des Nibelungenliedes zu finden seien. Außerdem habe er eine starke emotionale Bindung zum Rhein, da seine Großeltern dort gelebt haben und er mit ihnen viel am Ufer des Flusses spazieren gewesen sei.
“Mein Großvater (…) hat mir oft Geschichten über den Fluss erzählt, über den Drachenfels, all diese Dinge, und die Faszination ist bis heute noch da. Mein Roman „Loreley“ ist nach wie vor einer meiner eigenen Favoriten. Vom Rhein, jedenfalls, ist es nicht weit zu den Nibelungen, schon gar nicht in der Umgebung des Drachenfels.”

Der RabengottDie spannendsten Figuren seien für ihn Hagen und Kriemhild, denn diese beiden transportieren die interessantesten Dilemamas der Geschichte. Siegfried selbst sei nur Auslöser der Katastrophe. In diesem Zusammenhang spendet er seinem Kollegen Wolfgang Hohlbein Lob: “Wolfgang Hohlbeins Roman “Hagen von Tronje” dürfte literaturwissenschaftlich eine der unterschätztesten Adaptionen sein – darin hat er genau diese beiden Themen [Hagens Vasallentreue und Kriemhilds Wandel zum Racheengel] sehr schön auf den Punkt gebracht.”

Der Auslöser für die Reihe “Die Nibelungen” war im Prinzip die Verwunderung über die dauerhafte Faszination des Artus-Mythos, der gerade Fantasyautoren immer wieder zu Bearbeitungen inspiriert und der Mangel an Nibelungen-Adaptionen.

“Hohlbein war tatsächlich lange der einzige Deutsche, der sich des Stoffes auf populäre Weise innerhalb des Genres angenommen hat (Stephen Grundys “Rheingold” ist in gewisser Weise auch ein hiesiges Produkt, geschrieben zwar von einem Amerikaner, aber von einem deutschen Verlag ausgeheckt und in Form gebracht). Während man mit der Artus-Geschichte immer eine gewisse Farbigkeit verbunden hat, hatten die Nibelungen lange so etwas Muffiges, vielleicht nur für uns Deutsche. Durch Wagner und die Nazis hatte der Stoff lange auch eine gewisse Vorbelastung, von der ich vollkommen weg wollte, um zu sagen: “Schaut mal, was wir für eine tolle Geschichte direkt vor der Haustür liegen haben. Wir müssen nicht nach Avalon und Camelot, wir haben das alles hier bei uns.”
Natürlich kann man die beiden Mythen inhaltlich eigentlich gar nicht vergleichen – die Artus-Sage ist eine sehr äußerliche, oberflächliche, abenteuerliche Geschichte (deshalb macht sie sich auch als Adaption so gut), die im Kern zwei klassische Konfliktstellungen besitzt: Das Dreicksverhältnis und den Vater-Sohn-Zwist. Das Nibelungenlied dagegen hat nicht diesen äußeren Glanz, nicht diese funkelnde Oberfläc
he – dafür gehen die psychologischen Konflikte tiefer und sind sehr viel komplexer. Eigentlich ist das kein Abenteuerstoff, sondern ein Familiendrama.

Der direkte Link zum Journaleintrag mit einem ausführlicheren Ausschnitt aus dem Interview findet man hier.

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Ein Kommentar »

  1. Ich bin kein Hohlbein Fan, aber sein Roman über Hagen von Tronje ist gut. Ich habe auch Grundys Versionen des Nibelungenstoffs mit Interesse gelesen.; jetzt muß ich doch diesen Kai Mayer mal in der Buchhandlung suchen. *grins* Ich verbringe zuviel Zeit mit englischen Büchern.

    Nicht direkt über die Nibelungen, aber in derselben historischen Zeit spielend ist Tilman Röhrigs Die Burgunderin (als Harcover Ein Strum wird kommen von Mitternacht), über eine junge Burgunderin, die als Geisel zu den Hunnen kommt und aufgrund ihres Geschicks im Umgang mit Pferden das Interesse eines von Attilas Söhnen weckt. Die Liebesgeschichte ist nur ein thread in diesem Roman über Hunnen, Römer und Burgunder.

    Kommentar by Gabriele — 13. April 2008 @ 01:15

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