Seit ihrer Kindheit sind Jonnvinn und ihre Schwester Nive unzertrennlich. Gemeinsam sind sie in der Waldburg aufgewachsen, gemeinsam haben sie sich in magischen Experimenten versucht. Trotz aller Wesensunterschiede haben sie immer zusammen gehalten.
Seit Nive jedoch vor einigen Jahreszeiten in den Süden aufgebrochen ist, um die Kunst der Glasmacherei zu erlernen, haben sich die Schwestern nicht mehr gesehen.
Als Jonnvinn schließlich wieder und wieder von düsteren Träumen heimgesucht wird, in denen sich Nive in höchster Gefahr befindet, wird ihr sehr schnell klar, dass auch sie die heimatlichen Gefilde verlassen muss, um ihrer Schwester zu Hilfe zu eilen.
Bald schon stellt sich heraus, dass Jonnvinns Träume tatsächlich prophetischer Natur sind: Nive hat ihren ehemaligen Lehrer verlassen, um in der Wüste den “verbotenen Sand” zu suchen und mit dessen Hilfe ein geheimnisvolles Volk zu erretten, das seit Jahrhunderten vom Angesicht der Erde verschwunden ist, dessen Abbilder sich jedoch heute noch in Glasscherben und –gefäßen widerspiegeln.
Schon bald sieht sich Jonnvinn in ein gefährliches Abenteuer verwickelt, in dessen Verlauf sie nicht nur mächtigen Dämonen, mysteriösen Wassersuchern, seltsamen Zwischenwesen, einem faszinierenden Mann und einer geheimnisvollen Wüstenzauberin begegnet, sondern sich auch der dunklen Seite ihrer eigenen Seele stellen muss: dem Woran-Fluch, der ein verborgener Teil ihres Wesens ist.
Obwohl “Im Bann des Glasvolks” der dritte Teil der “Woran-Saga” ist, steht das Buch mühelos für sich. Zwar tauchen – zumindest am Rande – eine ganze Reihe von Figuren auf, die den Lesern der vorhergehenden Bände bereits vertraut sind, für das Verstehen der in sich abgeschlossenen Handlung sind jedoch keine Vorkenntnisse aus diesen ersten beiden Teilen notwendig. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass Nina Blazon mit Jonnvinn eine neue Hauptprotagonistin in das Zentrum ihrer Geschichte stellt und diese die bislang unentdeckten Wüstengegenden ihrer detaillreich kreirten Woran-Welt bereisen lässt. Die für die Handlung notwendigen Referenzen zu früheren Ereignissen werden so unauffällig im Verlauf des Romans erwähnt, dass der Erzählfluss niemals dadurch gehemmt wird.
Überhaupt gibt die Autorin ein hohes Tempo vor: Ein spannendes Ereignis jagt das nächste, Ruhepausen gibt es keine. Durch diese Action-Orientiertheit kommt zwar nie Langeweile auf, tiefere Einblicke in das Innenleben der Nebenfiguren bleiben jedoch auf der Strecke. Einzig Jonnvinn ist ein gut durchkonstruierter Charakter, den man mit der Zeit immer besser zu verstehen lernt, der aber bis zum Schluß noch die eine oder andere Überraschung parat hält.
Aus diesem Grund eignet sich das Buch auch vor allem für ein jugendliches Publikum oder jene Leserschaft, die hauptsächlich auf Spannung und Abenteuer Wert legen.
Ein weiteres Mal stellt Nina Blazon eindrucksvoll unter Beweis, dass sie ein Händchen dafür besitzt, eine schillernde, bunte Fantasy-Welt zu erschaffen und sie mit neuen, selbst erfundenen Wesen auszuschmücken. Es ist sehr begrüßenswert, dass die Autorin sich nicht auf gängige Sagen-Versatzstücke verlässt, sondern ihre eigenen Legenden und Mythen schafft. Die vielen märchenhaften Motive wie die aus Meerschaum geborenen Regenbogenpferde dürften vor allem junge Mädchen ansprechen, wobei der Roman sicher auch in anderen Zielgruppen eine begeisterte Leserschaft finden wird.
Es gibt leider noch immer viel zu wenige deutsche Fantasy-Autoren, die sich am internationalen Standard messen können. Im Bereich Jugendliteratur beweist Nina Blazon seit einigen Jahren wiederholt, dass sie zu jener wachsenden Minderheit gehört. Wenn der Ueberreuter Verlag ihre Romane deshalb in der – übrigens schön aufgemachten – Hardcover-Reihe “Meister der Fantasy” veröffentlicht, liegt er gar nicht so falsch.
Diese Rezension entstand in Zusammenarbeit mit Media Mania.