Nicht zuletzt dank der Blockbuster-Erfolge Der Sternwanderer und Coraline, die auf seinen Werken basieren, heimst der englischen Kult-Autor Neil Gaiman inzwischen auch beim Massenpublikum Lorbeeren ein. Da ist es nur eine logische Konsequenz – und überdies sehr erfreulich – dass der Panini Verlag Gaiman eine ganze, neue Reihe widmet: die Neil Gaiman-Bibliothek. Auch die pragmatische Hexe Thessaly stammt aus Gaimans Feder. Er hat die letzte Überlebende der berühmt-berüchtigten thessalischen Hexen eigentlich für seine Comicreihe Sandman kreirt, wo sie ein paar Gastauftritte absolvierte. Dort hat man sie als Unsterbliche kennengelernt und als eine der der mächtigsten menschlichen Zauberkundigen überhaupt. Thessalys wahre Kunst ist es allerdings, über Jahrtausende am Leben zu bleiben. Und wenn man das sicher stellen will, darf man weder auf den Kopf gefallen, noch sonderlich zimperlich sein. Thessaly ist beides nicht. Sie kommt sowohl in der Welt des Übersinnlichen gut zurecht als auch in der normalen Realität. Und bevor ihr jemand den Gar aus machen kann, erledigt sie ihn lieber schnell vorher. So gehen bereits einige Morde auf ihr Konto, die sie gelassen hin nimmt.
Auch in Die Hexe lässt das Morden nicht haben es einige zwielichtige Gestalten auf Thessaly abgesehen. Die Totengötter diverser Religionen haben es auf die gewitzte Hexe abgesehen, da ihnen ein Stück ihrer Seele das eigene Überleben für eine ganze Weile sichern würde. Sie jagen nicht nur ein Rudel reissender Bestien auf die Hexe, die es sich gerade als Studentin an einem kleinen amerikanischen College gemütlich gemacht hat, sondern auch einen Geist. Mit ersteren macht Thessaly kurzen Prozess, letzterer lässt sich nicht so schnell beseitigen. Da Fetch – der Geist – bereits tot ist, kann die Hexe ihn nicht ins Jenseits befördern. Und als Thessaly beschließt, herauszufinden, wer hinter dem Angriff auf sie steckt, heftet sich Fetch an ihre Fersen. Gemeinsam begeben sich die beiden auf eine traditionelle Quest voller skuriler und grausiger Erlebnisse, bis Thessaly endlich ihren Feinden Auge in Auge gegenüber steht.
Obwohl die vierteilige Mini-Serie nicht von Thessaly-Erfinder Neil Gaiman selbst verfasst wurde, sondern von Fables-Creator Bill Willingham, steht Thessalys erstes Abenteuer mit Fetch ganz in Gaiman’scher Tradition. Besonders augenfällig wird. Die Geschichte ist düster, setzt aber auch auf Situationskomik. Die Idee, dass ein paar mächtige Wesen durch das Verspeisen der Seele eines noch mächtigeren Wesens ihr eigenes Leben verlängern und ihre Jugend zurückholen wollen, darf man gar an eine Hommage an Neil Gaimans Roman Der Sternwanderer verstehen. Dort wollen drei Hexen aus dem gleichen Grund das Herz eines gefallenen, mensch gewordenen Sterns verschlingen. Andererseits scheint Gaiman Willinghams Skript so gut gefallen zu haben, dass er selbst eine Szene daraus später in seinem Drehbuch für den Film MirrorMask verwendet hat (und zwar die mit der Sphinx).
Unter’m Strich war Bill Willingham sicher die richtige Wahl. Wie in Fables die Märchenfiguren geben in Die Hexe lässt das Morden nicht zahlreiche Figuren der unterschiedlichsten Mythologien ihr Stelldichein. Das sorgt für mächtig Laune!
Für zarte Gemüter ist die Geschichte übrigens nichts. Was auf den ersten Blick wie ein netter Mystery-Comic um eine Hexe, die Häschenpantoffel trägt und auf den ersten Blick wie ein bebrillter Außenseiter wirkt, erscheint, ist in Wahrheit eine teils zwar sehr lustige, teils aber auch sehr brutale Graphic Novel: Da werden Leute in der Mitte auseinander gebissen, Monster mit Äxten erschlagen und Raben picken Menschen bei lebendigem Leib die Augen aus. Manche Bilder haben Splatter-Charakter. Wen das nicht stört, der darf sich von einer turbulenten Geschichte um ein ungleiches Duo freuen, deren verbale Schlagabtäusche mit zu den Highlights des Comic-Vierteilers gehören.
Fakten:
Titel: Thessaly – Die Hexe lässt das Morden nicht
Reihe: Sandman präsentiert
Autor: Bill Willingham
Zeichner: Shawn McManus
Verlag: Panini Comics
Aufmachung: Softcover mit Klappumschlag
Preis: 14,95 EUR
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