Lancelot, der Ritter vom See, gehört zu den schillerndsten Gestalten der Tafelrunde: In den alten Sagen ist er König Artus’ bester Freund – bis er sich unrettbar in dessen schöne Königin verliebt. Er ist ein strahlender Kämpfer, ein mutiger Recke, mit dem sich kaum jemand messen kann. Kein Wunder, dass sich Kunst, Film und Literatur immer wieder durch ihn inspiriert fühlen.
Jetzt hat sich der französische Comic-Autor Jean-Luc Istin (Die Druiden, Das fünfte Evangelium) dieser faszinierenden mittelalterlichen Sagengestalt angenommen, um ihr im Rahmen einer auf fünf Teile angelegten Comic-Saga neues Leben einzuhauchen. Seine Herangehensweise ist ebenso faszinierend wie revolutionär: Was wäre, wenn Lancelot kein Mann, sondern eine Frau gewesen wäre?
In Istins Neuinterpretation ahnt niemand, dass das einzige Kind des Königs Ban von Benwick ein Mädchen ist. Weil der grausame Krieger Claudus vor seiner Burg steht, um ihm die Herrschaft streitig zu machen, hat er das Gerücht streuen lassen, bei seinem neugeborenen Nachkommen würde es sich um einen Sohn handeln. Es ist ein Geheimnis, dass er mit ins Grab nimmt. Um Frau und Kind vor dem blutrünstigen Claudus zu schützen, flieht er bei Nacht und Nebel mit seiner kleinen Familie aus der Burg und überlässt die Krone seinem Feind. Doch er wird verraten und bald sind den Flüchtlingen Claudus Mannen auf den Fersen. Der neue König ist nicht daran interessiert, dass einer seiner Feinde überlebt. Nachdem ihr Mann und ihr Beschützer bereits gefallen sind, wird schließlich auch die Königin am Ufer eines Sees von ihren Feinden eingeholt. Verzweifelt fleht sie das Schicksal an, dass ihr Kind gerettet wird – und wird erhört. Aus den Fluten des Sees erhebt sich ein Wassergeist. Die Herrin vom See ist gekommen, um den Säugling zu schützen. In einem verborgenen Reich soll Lancelot zu dem Krieger erzogen werden, den der Magier Merlin vorausgesehen hat …
“Eine Geschichte, in der Frauen wirklich eine Rolle spielen …”
Mit „Claudus vom wüsten Land“ beginnt Jean-Luc Istins Lancelot-Saga spannend und originell. Die Idee, Lancelot zu einem Mädchen zu machen, ist schlicht genial. Allein durch diese ebenso einfache wie unerwartete Abwandlung der Original-Mär gelingt es dem Autor, eine gewisse Neugier im Leser zu wecken, auch und vor allem was die folgenden Bände angeht und wie Istin mit einer der größten Liebesgeschichten der mittelalterlichen Rittersagen umgehen wird. Im Auftaktband ist Lancelot selbst noch ein Kind; talentiert, aber recht arrogant, das im verborgenen Reich von Viviane der Fee zu einem Kämpfer, Strategen und Heiler ausgebildet wird. Ein Großteil des Comicbandes dreht sich außerdem nicht um ihn, sondern um den Mörder seiner Eltern, Claudus, und dessen grausame Herrschaft.
„Dieser Lancelot ist eine Geschichte, in der Frauen wirklich eine Rolle spielen“, verspricht der Texter im Nachwort des ersten Bandes. Er spielt dabei nicht nur auf den Inhalt an, in dem Priesterinnen und Königinnen tragende Rollen einnehmen, sondern auch auf die beiden Künstlerinnen, die seine Skripte in Bilder umsetzen: Die Zeichnungen stammen von der Künstlerin Alexe, für die Koloration ist Elodie Jacquemoire verantwortlich. Ihr Zusammenspiel machen den Comicband wortwörtlich zu einem Hingucker: Jacquemoire setzt überwiegend auf sanfte, gut aufeinander abgestimmte Farben, die den klaren Linien von Alexe stimmungsvoll Leben einhauchen. Gerade die gelungene Koloration hilft dem Leser, ins nebelumwogte Land der Elfen und Feen einzutauchen. Alexe hingegen hat ein Händchen für ausdrucksstarke Gesichter.
Um den unterschiedlichen Wurzeln der Legende gerecht zu werden, siedelt Istin seine Saga in einer Zeit an, in der das Christentum und der heidnische Götterglaube der Kelten miteinander rivalisieren. Gemeinsam mit der Illustratiorin und der Koloristin erschafft er so eine faszinierende Welt, in der die raue Realität des kargen Mittelalters auf das fantastische, in Nebel gehüllte Reich der Feen mit ihren nichtmenschlichen Bewohnern trifft.
Wer für historisch-phantastische Geschichten und bzw. oder die Artus-Saga etwas übrig hat, sollte unbedingt einen Blick in „Lancelot“ werfen. Er wird es nicht bereuen!
Diese Rezension findet ihr auch auf Media-Mania.de!
Eine Leseprobe gibt es hier!