Darkstars Fantasy News


9. November 2011

Holly Black: Weißer Fluch
Die Fluchwerker (1)

Category: Hörbücher,Rezensionen – Darkstar – 07:00

Weißer FluchAls Cassel Sharpe mitten in der Nacht aus tiefem Schlaf erwacht, blickt er verstört vom Dachsims des Internatsgebäudes Wallingford. Seine nackten Füße finden kaum Halt auf dem schmalen, eisigen Vorsprung. Ein plötzliches Geräusch lässt ihn das Gleichgewicht verlieren und wie durch ein Wunder bekommt er gerade noch einen Teil des Daches zu fassen. Sein verzweifelter Hilferuf weckt die Bewohner des Internats und binnen Sekunden verliert er, was er sich in den letzten Jahren verzweifelt aufgebaut hat: den Ruf eines ganz normalen Teenagers.

Nachdem im Jahre 1929 die Ausübung von Magie offiziell verboten wurde, schlossen sich die Fluchmagier zusammen und es bildeten sich sechs mächtige Fluchwerkerclans heraus. Deren magisches Wirken bewegte sich bald darauf auf illegalen Abwegen und erschuf eine kaum zu kontrollierende und gefürchtete Kriminalität. Jene Menschen, die seit jeher dazu imstande sind, durch bloße Berührung Magie zu wirken, wurden in den Untergrund gedrängt und leben seither meist unerkannt inmitten der Bevölkerung. Die meisten unter ihnen können die Gefühle oder Gedanken der Menschen beeinflussen und einige wenige sind dazu im Stande, den plötzlichen Tod eines Menschen hervorzurufen. Doch die gefürchtetsten und mächtigsten unter ihnen sind die Verwandlungswerker, deren Fähigkeit es ihnen erlaubt, Menschen und Gegenstände nach ihrem Belieben zu verformen. Cassel entspringt einer dieser Familie von Fluchmagiern. Doch er ist der einzige unter ihnen, der keine magischen Fähigkeiten besitzt. Als Außenseiter in der eigenen Familie sucht er verzweifelt nach einem Platz in der Welt und trägt dabei ein düsteres Geheimnis mit sich herum. Im Alter von 14 Jahre tötete Cassel seine beste Freundin Lila, die Tochter des Clanführers Zacharov. Bis heute fehlt ihm die Erinnerung an diese Tat und die Schuld lastet selbst Jahre danach noch schwer auf seinem Gewissen. Doch tief in seinem Inneren spürt er, dass mehr in ihm steckt, als es auf den ersten Blick erscheint.

Nach ihren großen Erfolgen der “Spiderwick-Geheimnisse” wagt sich Holly Black diesmal an eine interessante Kombination außergewöhnlicher Fantasy-Elemente, eingebettet in eine Gangsterstory, deren Handlung in einer Alternativ-Welt spielt. Dabei setzt sie die Existenz magischer Fähigkeit als selbstverständlich voraus, was den Zuhörer zunächst sicher etwas verwirren mag, da hierzu nur wenige Erklärungen erfolgen. Die Fluchwerkerclans präsentieren sich durch ihre mafiaähnlichen Strukturen, deren Hauptwirken sich auf zwielichtige Geschäfte und der Ausübung von Einfluss und Macht untereinander konzentriert. Die Hauptfigur wird in dieses Gefüge hineingeboren und muss sich, wie auch der Zuhörer, damit auseinandersetzen, dass er letztlich mit den Schurken sympathisiert, wenngleich deren Taten in vielen Fällen nicht gutzuheißen sind. Dadurch erschafft die Autorin einen außergewöhnlichen und interessanten Perspektivenwechsel. Wer hier eine klare Aufteilung von Gut und Böse erwartet, wird vielleicht enttäuscht, zumindest aber schnell eines Besseren belehrt werden.

Die Geschichte beginnt zunächst verwirrend und zusammenhanglos. Cassel findet sich schlafwandelnd auf dem Dach des Internats und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die ihn zurück in den Schoß seiner schrägen Familie drängt. Nach und nach erfährt er, was es mit dem Tod seiner Freundin und den eigenen Erinnerungslücken an diese Tat auf sich hat und entlarvt die Machenschaften, in denen seine Brüder verwickelt sind. Zwar erwartet man nicht, dass diese Enthüllungen vorhersehbar sind, dennoch tappt der Zuhörer lange im Dunkeln und gelegentlich scheinen die Szene sehr abgehackt und fragmentiert zu sein. Dies könnte entweder an einer ungeschickten Kürzung der Romanvorlage liegen oder aber von der Autorin bewusst konstruiert sein, um die Verwirrung der Hauptfigur noch zu unterstreichen. Besonders herauszustellen sind in jedem Fall die Charaktere der Geschichte. Cassel steht im Zentrum der Handlung und schafft es schnell, den Zuhörer für sich einzunehmen. Der sympathische Teenager kämpft mit der fehlenden Anerkennung seiner Familie und hadert schwer mit dem Wissen, dass er ein Mörder ist. Auch die übrigen Figuren haben alle auf ihre eigene Weise ihren besonderen Reiz und lassen sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. Ausgesprochen skurril erscheint beispielsweise Cassels Mutter, die aufgrund eines Heiratsschwindels immer noch im Knast sitzt und auf ihre Freilassung wartet. Zwar spielt sie in der Geschichte eine eher untergeordnete Rolle, doch ihre sporadischen Anrufe aus dem Gefängnis und die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Söhne zur Kriminalität ermutigt, strotzen vor Ironie und machen diesen Charakter amüsant und wunderlich zugleich.

Da die Autorin die Machenschaften der Clans und Cassels Nachforschungen stark in den Vordergrund stellt, bleiben die außergewöhnlichen magischen Aspekte leider etwas auf der Strecke. Zwar werden die geschichtlichen Hintergründe und Ausprägungen dieser Fähigkeiten durchaus nachvollziehbar und schlüssig beleuchtet, hätten jedoch etwas mehr Raum einnehmen können. Hier liegt jedoch der Verdacht nahe, dass dieses Versäumnis in den beiden Folgebänden der Trilogie behoben wird und “Weißer Fluch” in erster Linie dazu gedacht ist, die Rahmenhandlung rund um die Gangsterclans zu implementieren. Martin Baltscheit spricht den Charakter Cassel und erzählt aus der Ich-Perspektive dessen Geschichte. Seine markante, wenn auch etwas ruppige Stimme trifft den Charakter der Hauptfigur durchaus gelungen. Baltscheit liest enthusiastisch und engagiert und versteht es, die Handlung gekonnt voran zu treiben. “Weißer Fluch” endet nach knapp 420 Minuten in sich abgeschlossen und ist ein durchaus empfehlenswertes Hörbuch aus dem Dark-Fantasy-Genre, das den Zuhörer in Spannung versetzt und in jedem Fall die Bezeichnung eines Thrillers verdient. Die Altersfreigabe liegt bei 14 Jahren und sollte aufgrund der differenzierten Darstellung der Charaktere und den kriminellen Anteilen der Handlung nicht unterschritten werden.

Diese Rezension ist ein Gast-Beitrag von Axel Fischer. Ihr findet die Besprechung auch auf Media Mania.

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Ein Kommentar »

  1. […] Rezension zum Hörbuch des ersten Teils findet ihr hier. Tags: « Kino oder DVD? X-Men – Days of Future PastDer […]

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