Sie griff nach dem Kabel und löste es aus der Buchse in ihrem Schädel. Es fiel sofort ab und trennte die Verbindung ins Netz. Die reale Welt. Sie war seit einer ganzen Weile nicht mehr hier gewesen. Die Farben kamen ihr viel stumpfer vor.
(Dan Wells; Bluescreen, Kapitel 1)
Los Angeles im Jahr 2050:
Drohnen erledigen die Hausarbeit, Autos fahren komplett mit Autopilot, was sowohl Treibstoff spart als auch die Unfallrate drastisch gesenkt hat, und fast jeder Mensch besitzt ein Djinni, ein Implantat direkt im Schädel, das das Gehirn direkt mit der virtuellen Welt vernetzt.
Das hat natürlich auch Schattenseiten: Geschäfte, an denen du vorbeiläufst, spielen dir auf dich zugeschnitte Werbung auf dein Interface, die zunehmende Automatisierung hat unzähligen Menschen den Job wegrationalisiert und die Kluft zwischen Arm und Reich ist deutlich größer geworden.
Die 17jährige Marisa Carnesca lebt in Mirador, einem kleinen Stadtteil des zum Moloch angewachsenen Los Angeles, in dem auf die Polizei weniger Verlass ist als auf private Schutzgelderpresser. Die meiste Zeit verbringt sie in der Virtualen Realität, wo sie mit ihren Freundinnen als schlagfertiger Trupp ein Action-Adventure Game aufmischt.
Sie nutzt die technischen Errungenschaften ihrer Zeit vollumfänglich und glaubt, dank der Firewalls in ihrem Djinni ihre persönlichen Daten und ihre Privatsphäre gut geschützt zu haben. Bis Anja, eine ihrer Freundinnen die neue Cyberdroge Bluescreen ausprobiert, die einem einen wahnsinnigen Kick verspricht, aber als völlig gefahrlos gilt, da sie nicht körperlich ist. Als Marisa den Quellcode von Bluescreen näher untersucht, wird ihr schnell klar, dass die Droge höchst gefährlich ist.
Gemeinsam mit ihren Freundinnen sucht Marisa nach einem Weg, Anja zu helfen und die Verbreitung von Bluescreen einzudämmen. Etwas, an dem den Erfindern der als Droge getarnten Waffe natürlich nicht gelegen ist …
Faszinierendes Worldbuilding, sympathische Figuren und ein spannender Plot …
Dan Wells (Ich bin kein Serienkiller; Partials) hat mich mit Bluescreen wirklich begeistert.
Der Weltenbau ist detaillreich und überzeugend und eine gleichsam faszinierende und erschreckende Fortführung heutiger Technologien. Insofern ist Bluescreen eine Warnung vor den Gefahren, über die wir uns tagtäglich viel zu wenig Gedanken machen, ohne dass der Autor den mahnenden Zeigefinger hebt.
Die Handlung entwickelt sich organisch aus diesem Setting und überzeugt; es sind aber vor allem die Figuren, die mir am Roman am Besten gefallen haben. Nicht nur, dass wir hier einigen sehr starken, faszinierenden Frauen begegnen, der ganze Cast ist sehr vielfältig gehalten, etwas, dass ich gar nicht genug loben kann:
Marisa stammt aus einer mexikanischen Familie; Fang, ein Mitglied ihrer Virtual Reality-Truppe ist Chinesin, Anja hat deutsche Vorfahren, Marisas bester Freund Boa – einer der wenigen, der sich beharrlich gegen ein Djinni ausspricht -, hat indische Wurzeln und Marisas beste Freundin Sahara, ein kleines Internet-Sternchen, das ihr Leben ständig von zwei Kameradrohnen aufzeichnen lässt, steht auf Frauen. Das ist ein bunt zusammengewürfelter Cast, jeder auf seine Art sympathisch oder doch faszinierend, sowas brauchen wir mehr.
Umso erleichterter bin ich, dass ich euch auch versprechen kann, dass die Geschichte von Bluescreen ziemlich spannend ist. Sobald man das erste Kapitel hinter sich gebracht hat – es spielt komplett in der Welt des Virtuellen Games, das Mari und ihre Freundinnen zocken -, nimmt die Handlung an Fahrt auf und macht den Roman zu einem Pageturner.
Wenn ihr Nahzukunftsszenarien, Cyperpunk-Thriller und Bücher mit starken Protagonistinnen mögt, gebt Bluescreen eine Chance – auch falls euch Kapitel 1 nicht überzeugt! Es ist wirklich cool!