Seit ihrem Sieg über Circe haben Gemma, Felicity und Ann das Magische Reich nicht mehr betreten. Obwohl ihnen die Zauberkraft, die sie dort besitzen und ihre Freundin Pippa, deren Geist dort noch lebt, obwohl sie in der realen Welt bereits vor einigen Monaten gestorben ist sehr fehlen, gelingt es ihnen nicht, einen Weg in das andersweltliche Wunderreich zu finden.
Zusätzliche Aufregung verursacht außerdem noch die Tatsache, dass die Debütantinnen-Zeit der Mädchen angebrochen ist. Während sich die älteren Schülerinnen der Spence Akademie auf eine Zeit der Bälle, Theaterbesuche und Sonntagnachmittag-Spaziergänge in der feinen Londoner Gesellschaft vorbereiten, fühlt sich vor allem Ann ausgeschlossen, die zum Sommer hin ihre Freundinnen verlassen muss, um bei ihrer neureichen Verwandtschaft eine Stelle als Gouvernante für deren verzogenen Nachwuchs anzutreten.
Auch Kartik hat Gemma seit den einige Monate zurückliegenden Ereignissen in London (geschildert in “Circes Rückkehr”) nicht mehr gesehen. Das beunruhigt sie beinahe ebenso sehr wie die Tatsache, dass der zerstörte Ostflügel von Spence wieder aufgebaut wird. Was haben Mrs Nightwing, Mrs McChennmine und der Orden des Aufgehenden Mondes vor?
Gerade in den durch Bauarbeiten freigelegten Ruinen findet Gemma dann jedoch doch noch einen geheimen Weg in das Magische Reich. Dort hat sich in ihrem letzten Besuch einiges verändert. Der ewige Frühling der wunderschönen Landschaft ist einem düsteren Herbst gewichen. Pippa hat sich mit einigen anderen Geister-Mädchen in einer verfallenen Burgruine verschanzt und wird immer unheimlicher. Und dann sind da noch die Bewohner des Magischen Reiches, die darauf warten, dass Gemma endlich ihr Versprechen einhält und die Zauberkraft, die sie an sich gebunden hat, mit allen anderen teilt. Als wäre das noch nicht genug Druck, der auf Gemma lastet, bestürmen sie auch wieder neue Visionen. Das Phantom einer verzweifelten Frau scheint ihr eine wichtige Warnung übermitteln zu wollen, die mit etwas zu tun hat, dass sich der “Baum aller Seelen” nennt, der Machtquelle des Magischen Reiches und mit dem Orden des Aufgehenden Mondes.
Verzweifelt versucht Gemma sowohl in der Realität als auch im Magischen Reich Antworten zu finden und Lösungen für die Probleme, die sie bestürmen. Als es dann auch noch zum Streit mit Felicity und Ann kommt, scheint es ganz so, als sei die einzige, die ihr noch helfen kann, ausgerechnet Circe.
Mit “Kartiks Schicksal” legt sich Autorin Libba Bray noch einmal mächtig ins Zeug, um ihre Geschichte um den “Geheimen Zirkel” abzuschließen. Über 860 Seiten dick ist der Wälzer und verdient somit sowohl rein äußerlich als auch inhaltlich das Prädikat “opulent”. Wie schon in den beiden Vorgängerbänden ist es vor allem die Mischung, die die Bücher so süffig macht. Sowohl die Sequenzen im Magischen Reich als auch die Szenen im viktorianischen London ziehen in ihren Bann – und zwar sowohl die aufregenden und phantastischen Momente als auch die humorvollen. Es ist gruselig, wenn Gemma und ihre Freundinnen im nächtlichen, von Gaslaternen beschienenen London dem Geheimnis der Phantomfrau aus Gemmas Vision auf die Spur kommen wollen oder die dunkle, kompromisslose Seite Pippas im Magischen Reich mehr und mehr zu Tage tritt. Man möchte Ann zujubeln, wenn sie ihren ganzen Mut zusammen nimmt und bei einem Bühnenkomponisten vorsingt und Felicity tröstend in die Arme schließen, wenn ihr bestgehütetes Geheimnis schließlich offenbart wird. Eine gefährliche Faszination erfüllt den Leser, wenn er Circe dabei beobachtet, wie sie von ihrem Unterwassergefängnis aus versucht, Gemma auf ihre Seite zu ziehen. Und es ist umwerfend komisch zu lesen, wie Mrs Nightwing mit spritzigen, spitzen Sprüchen ihre Schützlinge erbarmungslos in endlosen Benimm- und Tanzstunden drillt.
Auch wenn “Kartiks Schicksal” nicht die atmosphärische Dichte seines Vorgängers erreicht, häufen sich großartige unterhaltsame Szenen und machen das Buch zu einem Lesefest, wenn auch mit ein paar überschaubaren Längen: Trotz aller Action schreitet die primäre Geschichte nämlich eher langsam voran. Die interessante Mischung aus Internatsroman, viktorianischem Schauer-Krimi, Mädchenbuch und Phantastik-Erzählung sorgt dafür, dass man am Ball bleibt.
Geschickt greift Bray die losen Fäden früherer Handlungsstränge auf und verwebt sie zu einem endgültigen Muster, das sie mit neuen Ideen anreichert. Natürlich erfahren wir, was mit Kartik geschehen ist. Wir erfahren auch, weshalb Mrs Nightwing vom Orden des Aufgehenden Mondes weiß – und wir begegnen dem Geist von Eugenia Spence!
Libba Bray zaubert einen wunderbaren Abschlußband für ihre Trilogie: reisserisch und romantisch. Sie bringt die Geschichte auf eine Art und Weise zu Ende, die sie verdient: Mit einem furiosen Finale, bei dem es nicht nur Sieger gibt und das auch Opfer fordert. Wehmütig könnte man den Schluß ihrer Geschichte auch nennen, der gleichzeitig der Anfang einer neuen Erzählung ist. Ob Libba Bray diese wohlmöglich in weiteren Romanen noch mit uns teilen wird oder nicht, ist ungewiss und eigentlich auch nicht wichtig. Von der ersten Seite ihres Debütromans bis zur letzten von “Kartiks Schicksal” wirkten ihre Figuren wie Menschen aus Fleisch und Blut. Sie existieren in unseren Köpfen weiter, auch wenn die letzte Seite längst schon umgeblättert ist.
Fakten:
Titel: Kartiks Schicksal
Autorin: Libba Bray
Reihe: Der Geheime Zirkel, Band 3 (von 3)
Original-Titel: The Sweet Far Thing
Übersetzung: Ingrid Weixelbaumer
Verlag: DTV, November 2008
Aufmachung: Taschenbuch, 863 Seiten
Preis: € 14,95
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