In einer dramatischen Szene hat Tamír ihrem Volk enthüllt, dass sie in Wahrheit ein Mädchen ist, die rechtmäßige Erbin des Throns von Skala. Ihr Leben lang hat man sie für einen Jungen gehalten: Zauberer haben ihr bei der Geburt durch einem dunklen Zauber äußerlich die Gestalt ihres Zwillingsbruders verliehen, der dafür sterben musste. Dies ist geschehen, damit sie – die prophezeite Königin – der drohenden Ermordung durch ihren einzigen noch lebenden Verwandten entgehen konnte.
Während bis auf wenige Vertraute ihre Gefährten sowie ihre Feinde sprachlos vor ihr stehen und hinter Tamírs Enthüllung einen Trick glauben, fordert die junge Frau die Krone des Landes ein, die ihr verräterischer Onkel unrechtmäßig an sich gerissen hat. Damit macht sie sich viele ihrer Kindheitsfreunde zu erbitterten Feinden. Ein Bürgerkrieg entbrennt in Skala, der eine blutige Ernte einfährt. Tamír kämpft verzweifelt darum, diesen Krieg mit möglichst wenig Verlusten zu gewinnen und ihren Lehnsmännern und Freunden zu beweisen, dass sie ihr Vertrauen weiterhin verdient und sie im Grunde ihres Herzens die gleiche geblieben ist.
Als wäre dies nicht Zerreissprobe genug, lässt die Blutschuld ihrer einstigen Retter auch sie nicht los:Der Geist ihres Bruders findet seine ewige Ruhe nicht. Er sucht Tamír weiterhin heim und ist nicht bereit, davon abzulassen, ehe diese seinen einstigen Mördern ihre gerechte Strafe zugeführt hat …
So gut ist der Abschluss-Band
Es ist Lynn Flewelling hoch anzrechnen, dass sie sich nicht für den einfachen Weg entschieden hat, ihre großartige Saga nach dem zweiten Band einfach enden zu lassen. Viele Schriftstellerkollegen hätten sich sicher von Tamír verabschiedet, nachdem diese die rein äußerliche Wandlung zur Frau vollzogen hat – und den Leser mit einem Friede-Freude-Eierkuchen zurück zu lassen. Nicht so Flewelling. Ihr ist bewusst, dass das Leben so einfach nicht ist. Tamír mag zum Ende von “Die verborgene Kriegerin” ihre wahre, weibliche Gestalt angenommen und ihren Titel als rechtmäßige Königin von Skala eingefordert haben; nach einer Kindheit und Jugend im falschen Körper ist die Identitätsfindung der jungen Frau jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Und natürlich muss auch ihr Umfeld – allen voran ihr langjähriger bester Freund Ki – sich erst an ihre frauliche Erscheiung gewöhnen. Mit ebenso viel Einfühlungsvermögen wie in den beiden ersten Bänden erzählt die Autorin von dem beschwerlichen Weg, den Tamír gehen muss, und wie schwierig es für Ki zu begreifen ist, dass er seinen besten Freund nicht verloren hat – und sein einstiger Spielgefährte darüber hinaus noch romantische Gefühle für ihn hegt.
Doch “Die prophezeite Königin” konzentriert sich nicht nur auf Tamír. Flewelling gewährt dem Leser Einblicke in die Leben und die Situation anderer Figuren, unter anderem der Braut des ehemaligen Kronprinzen, die von diesem wie eine Dienerin gehalten wird und gefälligst schwanger werden soll, oder dem eigentlichen Antagonisten der Reihe, für den – als die Autorin seinen Hintergrund enthüllt – der Leser zu seiner eigenen Überraschung so etwas wie Mitgefühl verspürt. Das lässt die Trilogie runder erscheinen. Die Fäden, deren Anfänge bereits im ersten Band gesponnen werden (Iyas Rolle bei Tamírs Geburt, die Gründung des Dritten Oreskas u. ä.) werden zu Ende geführt. Einzig aus dem Handlungsstrang um den Geist von Tamírs Mutter und ihrer Aussohnung mit Bruder hätte Flewelling deutlich mehr herausholen können. Dass sie dieses Potential verschenkt hat, ist der einzige Wehrmutstropfen.
Fazit
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Lynn Flewellings “Tamír Triad” setzt Maßstäbe. Im Bereich charakterorientierter Fantasy ist sie das Beste, was ich bis dato gelesen habe. Wer eine faszinierende, emotionale und mitunter düstere Geschichte schätzt, kommt an Lynn Flewellings Zyklus nicht vorbei. Insgesamt mag “Die prophezeite Königin” etwas schwächer sein als ihre beiden Vorgänger, aber noch immer bewegt sich die Story auf so verdammt hohem Niveau, dass das Buch als würdiger Abschluss der vielleicht ungewöhnlichsten und charaktertechnisch wie emotional herausragendsten Fantasytrilogie, die es je gab, gewertet werden darf.
Fakten:
Titel: Die prophezeite Königin
Reihe: Die Tamír-Triad, Band 3
Autorin: Lynn Flewelling
Originaltitel: Oracles Queen
Übersetzer: Michael Krug
Verlag: Otherworld
Aufmachung: Taschenbuch, 611 Seiten
Preis: 15,95 EUR
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