Eine Gast-Rezension von Axel Fischer
Das System sagt Dir, wen Du lieben sollst.
Aber was sagt Dein Herz?
Als Cassia den Mikrochip in das Terminal schiebt, zittern ihre Hände vor Aufregung. Nun wird sie erfahren, welcher Junge ihr zukünftiger Ehemann sein wird und vom System durch fehlerfreie mathematische Berechnungen als der perfekte Partner für sie auserwählt wurde. Das Bild ihres besten Freundes Xander erscheint und sie kann ihr Glück kaum fassen. Doch kurz darauf zeigt der Monitor ein zweites Gesicht, das ihr ebenfalls vertraut ist. Nur ein Fehler im System kann dafür die Ursache sein. Doch das System macht keine Fehler.
Dieser Moment soll Cassias Leben grundlegend verändern. Zu keiner Zeit hat sie das Regime in Frage gestellt, denn die Gesetze der sogenannten Gesellschaft garantieren ein sicheres und langes Leben. Es gilt, keine Fragen zu stellen und die Regeln bedingungslos zu befolgen. Andernfalls drohen psychische Strafen und schlimmstenfalls der Ausstoß aus dem sozialen Gefüge der Gesellschaft. Für Cassia bedeutet das, den Menschen zu lieben, den das System für sie bestimmt hat. Doch was, wenn ihre Liebe bereits einem anderen Jungen gehört? Allmählich ändert sich das Bild der scheinbar idealen Welt vor ihrem inneren Auge und langsam begreift sie, welchen hohen Preis die Menschen für ein perfektes Leben zu zahlen haben. Der freie Wille, das wichtigste Gut der Menschheit, wurde ihnen genommen und ersetzt durch das Versprechen auf ein sorgenfreies Leben. Fragen steigen in Cassia auf und der Drang nach Antworten wird immer stärker. Dabei verlässt sie den Weg des Gehorsams und bringt damit nicht nur sich, sondern auch ihre Familie und Freunde in große Gefahr.
Ally Condie erschuf mit “Die Auswahl” ein beeindruckendes Zukunftsdrama, das von seinem Ideenreichtum, der anrührenden Liebesgeschichte und viel mehr noch von seiner beklemmenden Atmosphäre lebt. Dabei spielt die Autorin mit den existentiellen Wünschen der Menschen nach Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung, die in einem totalitären System zwangsläufig zu einem tiefgreifenden inneren Konflikt führen müssen. Diesem Zwiespalt sieht sich die 17-jährige Hauptfigur zunehmend ausgesetzt und hadert mit ihren widersprüchlichen Empfindungen.
Im Zentrum der Handlung steht hierbei eine mehr oder weniger klassische Liebesgeschichte zweier Jugendlicher, die von Beginn an unter einem schlechten Stern steht. Die Rahmenhandlung spielt in der Zukunft und ist von einer vorangegangenen Umwälzung des Machtgefüges und einer grundlegenden Veränderung des Selbstverständnisses der Zivilisation geprägt. Als Folge der explosionsartigen Vergrößerung des Wissens, der voranschreitenden Globalisierung und der zunehmenden Unkontrollierbarkeit der Menschen wurde die sogenannte “Gesellschaft” gegründet. Deren Aufgabe war und ist es, das Wissen auf ein überschaubares Maß zu reduzieren und der Bevölkerung zukünftig richtungsweisend zur Seite zu stehen. Daraus entwickelte sich ein perfides System aus Vorgaben und Kontrollen, das im Allgemeinen den täglichen Ablauf minutengenau vorschreibt und im Besonderen beispielsweise die Wahl der eigenen Mahlzeiten oder eben des zukünftigen Partners vollständig übernimmt.
Besonders gelungen ist die charakterliche Entwicklung der Figur Cassia. Diese ist zu Beginn der Handlung mit ihrem Leben vollkommen zufrieden und wäre nie auf die Idee gekommen, die geltenden Regeln in Frage zu stellen. Nach und nach entwächst sie jedoch dem anerzogenen Gedankengut, stellt eigene Überlegungen an und muss sich letztlich zwischen ihrem alten Leben und der inneren und äußeren Rebellion entscheiden. Ihre Entwicklung zieht zunächst nur wenig Aufmerksamkeit auf sich, droht jedoch immer wieder im weiteren Verlauf der Geschichte entdeckt zu werden. Der dadurch erzeugte Spannungsbogen hält den Zuhörer gefesselt und wird noch verstärkt, da zu keiner Zeit der Ausgang der Geschichte abzusehen ist. Die Geschichte wird aus der Sicht Cassias erzählt und von Josefine Preuß zum Leben erweckt. Der jugendliche Klang ihrer Stimme passt perfekt zur Hauptfigur und unterstreicht gekonnt deren Charakter. Durch geschickte Modulationen wechselt die Einleserin zwischen den inneren Bildern und Gedanken der Protagonistin, den Dialogen der Figuren und den allgemeinen Beschreibungen der Umgebung und Handlung.
“Die Auswahl” wurde bislang in über 20 Sprachen übersetzt, genießt mittlerweile Bestsellerstatus und wird nicht selten mit der “Biss”-Reihe von Stephenie Meyer, aufgrund der anrührenden Liebesgeschichte, verglichen. Fans dystopischer Literatur werden dieses Hörbuch (gekürzte Fassung) sicher ebenfalls lieben. Die deutschen Leser und Hörer (Altersfreigabe ab 14 Jahren) müssen sich allerdings noch etwas gedulden, da die Veröffentlichung des zweiten Teils um “Cassia & Ky” erst im November 2011 in englischer Sprache geplant ist.
Diese Rezension ist eine Gast-Rezension von Axel Fischer. Ihr findet sie auch auf Media Mania.