Diese Woche machen T. S. Orgel mit der Blogtour zu ihrem Völker-Roman “Orks vs Zwerge” hier Station – und zwar mit einem Werkstatt-Bericht.
Nachfolgend präsentiert Tom (der T. im Autoren-Namen) hierzu einen ursprünglichen Entwurf ihres Romananfangs, der jedoch nie im gedruckten Buch erschienen ist – und erläutert im Anschluss die Gründe dafür.
Gastbeitrag von Tom Orgel
Willkommen zurück zur Blogtour “Orks vs. Zwerge“.
Diesmal mit der allerersten Rohfassung des Roman-Anfangs, in der wir unbelastet und ziemlich frei versucht haben, uns in den Stil und die Stimmung für dieses neue Projekt einzuschreiben.
Wie die, die den Roman gelesen (oder zumindest mal die erste Seite aufgeschlagen) haben, wissen, ist der erste Abschnitt, der eigentlich als Einleitung gedacht war, nie im Roman gelandet. Also eine “Deleted Scene”.
Und der zweite nur in stark veränderter Form – und an zwei verschiedenen Stellen. In diesem Fall also ein Outtake.
Wir erklären im Anschluss, warum.
——–
„Was meinst du, wie viele sind das?“
Kennel wuchtete einen Mauerrest auf die Zinnen und zuckte mit den Schultern.
„Viele.“
„Zu viele“, murrte Hempp, der alte Schreiner zu seiner Linken. Er zog grimmig eine weitere Ladung Holz auf den Wehrgang. Feuerholz für den dampfenden Wasserkessel zwischen ihnen.
„Mal ehrlich, was meint ihr, wie viele noch kommen?“ hakte Wenger nach. Der dürre Junge rieb sich fröstelnd die Arme.
„Wozu willst du das wissen? Du kannst doch sowieso nicht zählen.“
Kennel sagte nichts. Doch im Stillen gab er dem Dürren Recht. Jede Zahl war besser als ein ‚mehr als du zählen kannst’. Eine Zahl hieße, dass irgendwann Schluss wäre.
Dichter Morgennebel wallte und verhüllte alles, was mehr als ein paar Schritte von der Stadtmauer Deroks entfernt lag.
Leider verdeckten die weißen Schwaden zwar die Sicht, konnten jedoch nur wenig gegen den Gestank tun. Der Gestank war das Schlimmste. Jeder noch so leichte Lufthauch schob eine neue beißende Wolke auf die Stadtmauer. Verbrannter Braten war dabei, der metallische Geruch von Blut, verschmortes Horn, der beißende Gestank von Fäkalien und der widerlich süßliche Hauch von Verwesung.
Und jede neue Wolke kroch in Kennels Hals und kitzelte eine weitere Woge von Übelkeit herauf. Eigentlich erstaunlich. Es stank schon seit fünf Tagen und seit zweien hatte er nicht mehr genug gegessen, um sich richtig übergeben zu können. Was seinen Magen jedoch nicht daran hinderte, es zu versuchen. Vermutlich brauchte man länger, um sich an das zu gewöhnen, was der alte Schreiner den ‚Geruch des Krieges’ nannte. Blieb die Frage: Würde er lange genug leben?
Wie auf Kommando änderte sich der Rhythmus der Trommeln.
Die Trommeln waren das Schlimmste.
Vor fünf Tagen, im Morgengrauen, hatten sie eingesetzt. Und seitdem waren sie nicht wieder verstummt. Nicht für einen verdammten Augenblick. Tag und Nacht dröhnten sie durch das Tal, zermürbend krochen sie in jeden Gedanken, raubten den Schlaf und ließen keinen Raum für andere Gedanken. Und wenn sich das Tempo der Trommeln beschleunigte, bedeutete das genau eines.
„Sie kommen!“ Wengers Stimme überschlug sich vor Aufregung.
‚Wieder’, dachte Kennel und kam sich unglaublich alt und müde vor. ‚Schon wieder.’
Sein Mund war plötzlich ausgetrocknet. Und er musste dringend pissen. Eine ganz blödsinnige Kombination, wenn man darüber nachdachte.
Hempp drückte kurz seine Schulter und reichte ihm seine Gabelstange. „Kopf hoch, Junge. Halt einfach die den Kopf unten und die verdammten Leitern weg. Die Stumpen werden schon dafür sorgen, dass die Grünhäute nicht auf die Mauer kommen.“
Der Alte nickte zu der gepanzerten Gestalt, die einige Meter entfernt im Nebel stand. Unbewegt und matt schimmernd, beinahe wie eine Statue aus Stahl. Kennel fand die Zwergenkrieger fast so unheimlich wie die schreienden, kreischenden, brüllenden Grünhäute, die gleich wieder ihre kruden Leitern gegen die Wehrmauer lehnen würden.
Diese unheimliche Ruhe. Das war das Schlimmste.
So, als ginge sie das Ganze gar nichts an, als ließe sie der Lärm, der Gestank und das Sterben völlig kalt.
* * *
Die Trommeln schwiegen.
Diesen einen, bedeutsamen Moment, bevor sie das Tempo aufnahmen. Den Augenblick, bevor all das Brüllen, das Rennen, das Töten begann, bevor die Erde unter den Schritten erbebte, wenn das Dröhnen der Trommeln zum Herzschlag der Krieger wurde und Blut fließen musste. Grurach hielt seine Augen starr geradeaus gerichtet, füllte seine Lungen mit eisigem Morgennebel und wartete auf den nächsten Schlag.
Diese Pause war das Schlimmste für den Feind.
Schlimmer als die Stunden zuvor, schlimmer als die tausend monotonen Schläge. Der Aerc wusste das. Sie alle wussten das. Beinahe jeder von ihnen hatte schon einmal auf diesen einen Schlag gewartet. Auf der einen oder der anderen Seite. Ein grimmiges Grinsen entblößte seine Hauer. Der Nebel bildete feine Tropfen auf den Borsten seiner Haut, auf den Narben seiner nackten Beine und auf den zerkratzten Schienen, die seine Unterarme schützten. Sein Blick huschte zur Seite, zu seinem Bruder. Das wilde Grinsen in Krendarrs Gesicht war ein Spiegel seines eigenen.
BOOM.
Gurach ließ die Luft in einem gewaltigen Brüllen aus seinen Lungen strömen. Es mischte sich mit dem aus unzähligen rauen Kehlen, als jeder Krieger in den Schrei einfiel.
BOOM.
Der nächste Schlag, der erste Schritt. Und dann rannten sie.
Durch den Nebel, über zertretenes Gras, zerstampfte Büsche und durch schlammige Erde. Sie liefen im Gleichschritt und brüllten, die lange Leiter zwischen ihnen. Gurach trat auf das Bein eines Toten, der halb im Schlamm versunken lag, stolperte, fing sich wieder.
Etwas fauchte im Nebel. Ein Schatten riss die Schwaden auseinander und traf krachend die Leiter, die neben ihnen getragen wurde. Ließ sie in einem Schauer aus Splittern zerbersten, rammte zwei der Krieger in den Boden und überrollte einen dritten. Grurach hörte nicht auf zu brüllen.
Er lief weiter, während rund um sie weitere Katapultgeschosse nieder gingen und mit dumpfem Schmatzen im Acker einschlugen oder mehr Krieger unter sich begruben. Zornig schwirrende Blitze regneten auf sie herab, trafen auf Fleisch, kreischten über Rüstungen, pochten in Schilde. Der Aerc vor Krendarr bekam einen der kurzen Pfähle direkt in den Kopf. Der Bolzen stoppte nur eine Handbreit vor dem Gesicht seines Bruders. Der stieß den Toten beiseite, lief über ihn hinweg und brüllte noch immer.
Mehr Leichen, über die sie stolperten, Mauerbrocken früherer Katapultschüsse, zersplitterte Leitern, die wie Skelette aus dem Nebel ragten, Speere, tieferer Schlamm.
Der Gestank sprang Grurach an wie ein Raubtier, drängte sich durch seine weit geöffneten Nüstern, presste sich an seinen gefletschten Zähnen vorbei seine Kehle hinab und hinterließ eine saure, brennende Spur. Verbrannter Braten war dabei und Erdpech, der metallische Geruch von Blut, verschmortes Horn und erkaltetes Fett, der beißende Gestank von Fäkalien und der widerlich süßliche Odem der Verwesung. Das war nicht der Geruch eines ehrenhaften Kampfes. Dieser Pesthauch gehörte zu dem, was sie bekämpften.
Aufwärts ging es jetzt, über die Körper von Gefallenen, Berge von toten Kriegern. Seine hornigen Füße glitten auf Panzerplatten aus, versanken in schlaffem Fleisch, tote Gliedmaßen schienen ihn festhalten zu wollen. Die Geister toter Krieger blieben nicht gern allein.
Dann war sie da.
Grau und glatt ragte sie vor ihnen in den Nebel hinauf, die Mauer, die den Feind verbarg, die seit drei Sonnenaufgängen jedem Ansturm trotzte. Aber nicht diesem. Heute würde die Stadt der Wühler fallen. Heute würden sie auf ihren Wehrmauern blutige Rache nehmen!
——–
Warum ist das so jetzt nicht im Roman gelandet?
Wir waren eigentlich mit der entstehenden Stimmung ziemlich zufrieden – allerdings standen wir vor einem entscheidenden Problem:
Der Roman würde “Orks vs. Zwerge” heißen und eine große Schlacht zwischen diesen beiden Völkern behandeln. Menschen würden, soweit war das klar, hier nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Also konnten wir die Menschen, die bei der Mauerverteidigung Deroks eine gar nicht mal kleine Rolle (als Kanonen- bzw. Klingenfutter) spielten, unmöglich den Roman beginnen lassen.
Die Leser würden fast unweigerlich erwarten, dass Kennel, Hempp und Wenger eine Rolle spielen würden und gerade zu Kennel, der hier eine Art Blickwinkelcharakter ist, Sympathien entgegen bringen, die den Orkangriff unweigerlich negativ färben würde. Und als Sympathieträger der ersten Sekunde hätte er eine Rolle bekommen – oder wir hätten ihn gleich umbringen müssen.
Das mögen die Leser aber auch nicht unbedingt.
Außerdem wäre das Bild von vornherein unscharf geworden:
Was wir hier getan haben, war, Orks und Zwerge als unsympathisch darzustellen (die eiskalten Wühler und die blutrünstigen Orks). Beides aus Sicht der dadurch sympathischen Menschen. Thema verfehlt.
So leid es mir um diese kleine Szene tut (ich mag einige der Sätze), wir mussten auf Kennel, Hempp und Co von vornherein verzichten. Vielleicht verdienen sie eine Geschichte, aber das hier war nicht ihr Buch.
Szene 2 wurde daraufhin zum eigentlichen Beginn des Buches. vor allem, weil wir den allerersten Satz mochten, und weil sie mit dem Blickwinkel eines der beiden beteiligten Protagonistenvölker beginnt.
Wie man sieht, ist allerdings der Protagonist noch ein anderer.
Der gute Grurach – ursprünglich als DER Ork-Protagonist gedacht – hat relativ schnell eine (verdammt kurze) Nebenrolle bekommen, da er sich schon hier als eigentlicher Handlungsträger als nicht die beste Wahl erwiesen hat.
Um die Schrecken einer Schlacht und vor allem die Angst eines Frontsoldaten vor dem Sturm darzustellen, war der narbige Veteran der falsche. Schon hier entstand das Bild eines erfahrenen Kriegers, der für die Schlacht lebt und sie sogar genießt. Kein sympathischer Kerl also.
Ich mochte aber die Idee aus der verworfenen, ersten Szene, mit einem jungen Rekruten zu beginnen, der sich mühsam standhaft gibt, an das Rechtmäßige glaubt, der dringend auf’s Klo muss, dem die Angst bis zum Hals steht und der sie mit Brüllen übertüncht, weil er glaubt, dass er auf der Seite der “Guten” steht.
“Persönliche Angst und der Umgang damit” und “wir sind die Guten hier” sollten für uns zwei der Kernthemen des Romans werden. Für beides war Veteran Grurach nicht geeignet. Also habe ich den Namen seines Bruders Krendarr genommen (ich mochte den Klang), dazu einen Teil Kennel mit dem Blasenproblem und habe daraus Krendar, den jungen Rekruten mit den Angstwürmern im Magen, gestrickt.
Als Stephan die Anfangsszene mit den Zwergen und dem ebenfalls mit seiner Angst ringenden Jungzwergen Glond entworfen hatte, in die einige Fragmente der verworfenen, ersten Szene eingegangen sind (die Handwerker als Verteidiger zum Beispiel, die sich trockene Scherze zuwerfen und über die Zahl der Angreifer spekulieren), wurden aus der anfänglichen Orkszene zwei.
Wir ließen zum einen die Orks um Krendar gegen wartende Zwerge anrennen, statt direkt gegen die Stadtmauer. Damit konnten wir die beiden späteren Protagonisten in direkten Vergleich setzen, in beinahe die selbe Szene, die damit aus keinem der Blickwinkel schön oder ruhmvoll ist. Das war ja etwas, was wir von Anfang an zeigen wollten: Krieg ist hässlich, und die armen Frontschweine sind auf beiden Seiten die Leidtragenden.
Der zweite Teil der orkischen Anfangsszene wurde damit zur Einführung des zweiten Blickwinkel-Protagonisten der Orks: Ragroth, der als desillusionierter Truppführer mit ganzer Härte vorgehen konnte, ohne von Angst geplagt zu sein. Er wiederum findet Krieg ja lediglich hässlich, hat sich aber mit dem Lauf der Welt, wie sie sich für ihn darstellt, abgefunden.
Er wurde eingeführt, um ein Gegengewicht zu den ebenfalls recht pragmatischen, emotionsarmen Zwergenkriegern wie Kearn zu bilden. Damit füllt er eine Rolle aus, in die Krendar nicht passte: rohe, orkische Wildheit und die Vorführung, dass Orks eben nicht nur dämliches, tolkiensches Grabenfutter sind, sondern durchaus professionelle Soldaten aus einer langen Tradition von Kriegerstämmen.
Außerdem tauchte hier ein Gedanke auf, den wir im Rest des Romans dann noch zu einem Kern der orkischen Kultur entwickelt haben: Orks sind deshalb so zahlreich, weil sie fast immer als Zwillinge geboren werden – und daraus folgt die Tatsache, dass diese Zwillingspaare in aller Regel ein Einsatzteam bilden.
Insgesamt waren diese beiden “Warmschreibeszenen” also extrem wichtig für den Verlauf des folgenden Romans, selbst wenn sie so keinen Platz darin gefunden haben.
(c) Tom für T.S. Orgel
Ein Interview mit Tom & Stephan Orgel zum Buch gibt’s hier!
Autorenwebsite von T. S. Orgel: hier!
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