Sie war auf der anderen Seite. Und kam von dort nicht allein zurück.
Monika Edlund ist knapp über 70, als sie nach einem Schlaganfall wiederbelebt wird. Die selbstständige, freundliche Frau ist danach nicht mehr dieselbe. Sie magert ab, wird dement – ihr Sohn Joel weiß sich bald keinen anderen Rat mehr, als sie in einem Pflegeheim unterzubringen.
Doch das verbessert die Situation nicht wirklich. Monika verändert sich immer stärker. In der einen Sekunde verhält sie sich freundlich und zuvorkommend, in der nächsten ausfallend und boshaft. Zunächst versichert man Joel, das liege an der voranschreitenden Demenz seiner Mutter. Aber dann beginnt Monika Dinge auszusprechen, die niemand wissen kann. Schreckliche Dinge. Dunkle Geheimnisse. Und nicht nur die anderen Bewohner beginnen, vor der alten Frau Angst zu bekommen. Ist es wirklich noch Monika Edlund, die in diesem Körper lebt? Selbst Joel bekommt Zweifel …
Mats Strandberg erzählt in DAS HEIM einen Horror-Thriller, der an die Substanz geht. Nicht unbedingt wegen jener Vorkommnisse um Monika, die vielleicht übernatürlichen Ursprungs sind, vielleicht auch nicht. Sondern vor allem aufgrund seiner eindringlichen, realistischen Schilderungen des Alltags im Pflegeheim.
Mit viel Fingerspitzengefühl malt er ein plastisches Bild, vor dem wir gern die Augen verschließen. Dabei verzichtet er auf fingerpointing, schildert ebenso von tragischen wie von wunderbaren Momenten, von unterbezahlten und unterbesetzten Pflegekräften, die mal abgestumpft sind und mal extrem engagiert. Davon, was Alter oder Krankheit mit uns machen können. Von der Hilflosigkeit, die in Nebelfenn vorherrscht. Die Horror-Komponente fällt trotz diverser Gruselszenen für einige Horrofreunde vermutlich etwas sanft aus. Strandbergs große Stärke liegt in den Figurenzeichnungen. Er braucht nur wenige Passagen, um einen Charakter greifbar zu machen und es gelingt ihm, viele der Personen mit Voranschreiten des Romans von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten.
Extrem ausgefeilt und lebensecht sind seine beiden Hauptfiguren, aus deren Sicht er den Großteil der Geschichte erzählt: Joel ist ein gescheiterter Musiker, schwuler Dauer-Single, war lange Zeit drogensüchtig und hat nicht die geringste Ahnung, was er mit seinem verkorksten Leben noch anfangen soll. Nina ist Krankenpflegerin in Nebelfenn und hat sich ein scheinbar idyllisches Leben mit ihrem Ehemann in einem schönen Haus am Strand aufgebaut, lässt aber niemanden näher an sich heran.
Die beiden waren früher befreundet. Sehr eng befreundet. In der Schule Außenseiter, waren sie eine Zeitlang für den jeweils anderen der wichtigste Mensch im Leben. Musikhören und Musikschreiben wurde zu ihrer gemeinsamen Leidenschaft und sie waren noch auf der Schule, als ihnen der erste Plattenvertrag angeboten wurde – doch dann ging etwas gewaltig schief. Was, das verrät der Autor auch erst im Verlauf der Handlung.
Ist Monika tatsächlich von einem Dämonen besessen? Was steckt hinter den kryptischen Äußerungen der Alten, wenn sie auf die dunklen Geheimnisse von Nina und Joel zu sprechen kommt? Und was ist damals tatsächlich zwischen den beiden vorgefallen, dass ihre enge Freundschaft zerstört hat? Diese Fragen entwickeln eine Sogwirkung, die den Leser durch den atmosphärisch geschriebenen Roman regelrecht hindurch ziehen.
Einmal damit angefangen, konnte ich ihn nicht mehr zur Seite legen.