Dass Lynn Flewellings grandiose Tamír Triad zu meinen absoluten Lieblingslektüren gehört, ist regelmäßigen Besuchern meines Blogs wahrscheinlich bereits aufgefallen. Deshalb war ich auch besonders gespannt auf die Audio-Umsetzung, die es zwar bis dato leider nur auf Englisch gibt, die Audible Deutschland aber erfreulicherweise auch anbietet. Dementsprechend habe ich den Auftaktband der intensiven Trilogie – “The Bone Doll’s Twin” – auch gleich mal getestet.
Ein paar Sätze zum Inhalt (für jene, die die Saga noch nicht kennen):
Auf dem Land Skala liegt ein Fluch, seit König Erius unrechtmäßig die Krone an sich gerissen hat. Nur die Ankunft einer prophezeiten Königin aus der alten Adelslinie kann das Land erlösen, heißt es. Rücksichtslos lässt Erius deshalb sämtliche weibliche Verwandten ermorden und schreckt dabei selbst nicht vor den Kindern seiner eigenen Schwester zurück. Um deren neugeborene Tochter zu schützen und die Erfüllung der Prophezeiung zu gewährleisten, wagt eine Gruppe Zauberer deshalb etwas eigentlich Undenkbares. Sie ermorden den Zwillingsbruder des jungen Mädchens gleich nach der Geburt und hüllen sie mit einem düsteren Ritual in seine Gestalt. Doch etwas geht dabei schief: Die Seele des ermordeten Säuglings findet keine Ruhe und wandelt als dämonischer Geist an der Seite seiner Schwester, ohne dass diese ahnt, was tatsächlich geschehen ist und dass sie in Wirklichkeit ein Junge ist. Schwere Jahre liegen vor dem Kind, dem Gefahr droht durch einen tyrannischen König, einen gefährlichen Geist und einer Mutter, die über die schrecklichen Ereignisse der Geburt ihrer Kinder den Verstand verloren hat. Das schwierigste für Tobin ist es allerdings, die eigene Identität zu finden.
Warum die Geschichte so gut ist:
Das klingt nicht nur sehr anspruchsvoll und charakterbetont, das ist es auch! “The Bone Doll’s Twin” wird zurecht als Meisterwerk gefeiert und ich würde mir wünschen, die Reihe würde mehr Leser finden. Denn solch düstere Fantasy mit so grandios gezeichneten Charakteren und Tiefgang findet man eigentlich viel zu selten. Die Handlung trifft den Hörer direkt ins Herz und trotz des emotionalen Tiefgangs der Erzählung vergisst Lynn Flewelling nie, in erster Linie eine mitreissende Geschichte zu erzählen. Ob man in Tobins Geschichte nun als Transgender-Metapher liest oder als Weg eines jungen Menschen, zu sich selbst zu finden, bleibt jedem selbst überlassen. Kalt wird die Geschichte wohl keinen lassen, der sich darauf einlässt. Ist eine Mutter, die durch die Ermordung ihres neugeborenen Sohnes in den Wahnsinn getrieben wurde, tatsächlich böse? Kann eine Zauberin, die zur Erfüllung hehrer Ziele zu kompromisslosen Methoden treibt, ruhigen Gewissens weiterleben? Was passiert, wenn ein junger Mensch aus gesellschaftlichen Konventionen ausbricht auf seiner Suche nach der eigenen Identität? Wie tief geht Freundschaft wirklich? Wie viel ist ein Mensch bereit zu verzeihen? Was kann er verkraften? Das sind die Leitmotive eines fesselnden Romans, der seinesgleiches sucht.
Die Hörbuch-Version:
Victor Bevis, der Sprecher des Hörbuchs, macht seine Sache ganz gut. Zwar war ich zunächst etwas verwundert, dass man als Interpret nicht auf eine Frau gesetzt hat, aber man gewöhnt sich recht schnell an Bevis’ schnörkellosen Erzählsstil. Er ist kein amerikanischer Rufus Beck, das muss er aber auch nicht sein, die Geschichte steht schließlich für sich. Das reflektiert sich auch dahingehend, dass man auf Hintergrundmusik oder Effekte ebenfalls verzichtet. All das vermisst man aber gar nicht, ist man erstmal in die Welt von Skala eingetaucht. Der Spaß hält lange vor: Immerhin auf beeindruckende sechzehneinhalb Stunden bringt es “The Bone Doll’s Twin”. Das Schöne daran: Die Geschichte endet im Kopf des Lesers nicht zeitgleich mit der Hörbuch-Version, sondern hallt im Kopf des Hörers noch lange nach.
Bonus-Material?
Tatsächlich trumpft “The Bone Doll’s Twin” noch mit einem schönen Schmankerl für Fans auf. Lynn Flewelling höchstpersönlich hat für die Audio-Fassung eine Einleitung geschrieben, in der sie davon berichtet, worum es im Roman aus ihrer Sicht geht und wie es für sie war, diese Geschichte zu schreiben. Den Text liest sie dann auch noch selbst ein.
Gesamturteil:
Wer dem Medium selbst etwas abgewinnen kann und tiefgründige Geschichten mag, die nicht nur auf Action und Effekthascherei setzen, der liegt mit Lynn Flewellings Roman genau richtig.
Wer sich noch unsicher ist: Eine Hörprobe gibt es übrigens auch auf der Website des Anbieters