Am Montag ist der offizielle Erstverkaufstag von Carrie Jones “Flüsterndes Gold”, einem Urban Fantasy-Roman für Jugendliche, der in erster Linie auf eine düstere Geschichte setzt anstatt einer tragischen Romanze (meine Rezension hier). In den USA hat sich Jones bereits einen Namen als Autorin realistischer Jugendbücher gemacht, in der auch immer wieder homosexuelle Jugendliche eine Rolle spielen (z. B. „Tips on having a gay (ex) boyfriend“).
In „Flüsterndes Gold“ treibt ein dunkler Pixie-König sein Unwesen in einer Kleinstadt in Maine. Über ihre Faszination für Feen, ihre Arbeit als Autorin, über Deutschland und über glaubhafte Charaktere hat sich die witzige und sympathische Carrie Jones mit mir unterhalten:
Interview mit Carrie Jones
Liebe Carrie, vielen Dank, dass du dir Zeit für ein Interview nimmst.
Zara, deine Hauptfigur in “Flüsterndes Gold”, ist eine Expertin, was Phobien angeht. Weshalb hast du ihr einen solch seltsamen Tick mitgegeben?
Ach je! Vielleicht, weil ich selbst so seltsam bin?
Also, der offizielle Grund ist, weil Zara total von der Rolle ist wegen des Tods ihres Vaters. Sie ist einer dieser Menschen, die immer tapfer sein und die die Kontrolle behalten wollen. Jetzt aber stürmen Ängste auf sie ein. Sie glaubt, wenn sie ihre Ängste benennen kann, kann sie sie auch kontrollieren.
Hast Du selbst eine bestimmte Phobie (und, falls ja, wie gehst du damit um)?
Ich habe Todesangst vor Abfahrt-Ski. Das ist nur natürlich, weil ich mir jedes Mal, wenn ich es probiere, die Knochen breche. Und das ist sehr un-schön, weil es so viele gut aussehende Ski-Lehrer gibt. Durch meine Phobie habe ich nicht mehr die Chance, die kennenzulernen!
Die Feen in „Flüsterndes Gold“ sind keine Figuren aus romantischen Mädchenträumen, sondern düstere, gefährliche Kreaturen. Warst du der üblichen Romantasy-Variationen dieser Figuren müde?
Ja. Ich wollte über etwas Beängstigendes, Unheimliches schreiben. Aber ein Teil dessen, was die ganze Romanreihe überhaupt ausmacht, ist, wie sich die Sichtweise von Zara und von anderen Charakteren auf die Pixies ändert und wie sie sich mit ihrer eigenen Bigotterie auseinandersetzen müssen.
Der Anfang deines Romans erinnert ein bisschen an Stephenie Meyers „Biss zum Morgengrauen“: Ein junges Mädchen zieht in eine kalte Stadt und ist nicht gerade erfreut darüber; sie bekommt ein neues Auto, fängt an einer neuen Schule an … – auch wenn dein Buch dann eine ganz andere Wendung nimmt: Hast du bewusst einen ähnlichen Anfang geplant?
Die Bücherei, die ich in meiner Kindheit besuchte, war ziemlich klein und ich hab mich ziemlich schnell durch die komplette Kinderabteilung gelesen. Wir waren arm, deshalb konnten wir es uns nicht leisten, mir Bücher zu kaufen. Ich hab so viele Bücher ausgeliehen, wie ich nur konnte, und die Leiterin der Bibliothek hatte einen Faible für die klassischen Gothic-Romanzen.
Sowohl „Flüsterndes Gold“ als auch „Biss zum Morgengrauen“ verwenden die Zutaten dieses Genres:
1. Eine Frau wird an einen Ort mit schlechtem Wetter gesteckt
2. Sie muss sich zwischen zwei Männern entscheiden
3. Ihr Leben ist in Gefahr
4. Sie muss von dieser Gefahr errettet werden.
Teilweise wollte ich mit „Flüsterndes Gold“ dieses Genre ein bisschen auf den Kopf stellen, ähnlich wie das Buffy – Im Bann der Dämonen gemacht hat. Ich wollte, dass sich Zara durch ihre Intelligenz und ihren Mut selbst rettet – und ihre Freunde.
Der Pixie-König muss sich entweder mit seiner potentiellen Königin vereinen oder aber er ist dazu gezwungen, sich einen Bluttribut von jungen Männern zu nehmen. Ist das ein alter Mythos, eine alte Sage oder ist dir diese faszinierende Idee selbst gekommen?
Für dieses Detail ist hauptsächlich mein krankes Selbst verantwortlich.
Wie sah deine Recherche für diesen Roman aus?
Ich lese so viele Bücher, die ich finden (und bestellen) kann und nutze das Internet zu Recherchezwecken. Und ich habe auch mit ein paar Fachleuten gesprochen.
Weißt du noch, was Dich originär zu „Flüsterndes Gold“ inspiriert hat?
Ich war auf der Common Ground Fair, einer riesigen, coolen Kirmes in Maine, die von der Maine Organic Farmes and Growers Association (MOGFA) gesponsort wird. Um zum Hauptplatz der Kirmes zu kommen, muss man einen bezaubernden Pfad folgen, der sich zwischen hohen Nadelbäumen hindurchschlängelt. Direkt vor mir lief dieser Typ. Er hatte eine seltsame Ausstrahlung. Er trug nur Kord – einen Blazer, Hosen. Und aus seinem Blazer ragte ein langer, schweifartiger Fortsatz heraus, der mit einem Stoff in Erdtönen umwickelt war. Ich nehme an, er merkte, dass ich ihn anstarrte, denn er drehte den Kopf und schaute mich an. Seine Auge hatten eine verblüffenden Silberton. Wie verblüffend? So verblüffend, dass ich tatsächlich nach Luft schnappte und es mir kalt den Rücken runter lief.
Als ich später hinter ihm an der Kassenschlange stand, schauten wir uns noch mal in die Augen, und da waren seine Augen braun. Ich weiß, ich weiß! Wahrscheinlich habe ich mir die silbernen Augen nur eingebildet.
Es spielt auch keine Rolle. Das war jedenfalls das Erlebnis, das mich zu meinem Buch inspirierte. Denn dann kam mir noch das Bild eines Mannes in den Sinn, der auf einem Flughafen steht und auf ein Flugzeug zeigt, in dem ein Mädchen sitzt. Das fand ich auch unheimlich. Also fing ich an zu schreiben.
Wann hast du mit dem Schreiben begonnen und wie hast du festgestellt, Talent dafür zu besitzen?
Ach du meine Güte, ich weiß nicht, ob ich jemals daran glauben werde, Talent dafür zu besitzen. Ich hoffe immer, dass ich besser werde.
Ich nehme an, dass ich in der vierten Klasse wirklich mit dem Schreiben anfing (also ungefähr mit zehn Jahren). Ich schrieb eine Star Trek-Fanfiction für meinen Bruder, eine Sportskanone, der vierzehn Jahre älter ist als ich. Wir waren wirklich arm und besaßen auch kein Kabelfernsehen und einmal musste er den Babysitter für mich spielen. Es hat in Strömen geregnet und wir schauten alte Star Trek-Folgen (jenes Star Trek, in dem die Typen noch nicht süß waren). Ich dachte, das würde bedeuten, dass er Star Trek liebte, aber eigentlich hat er das nur gemacht, damit er sich nicht mit mir beschäftigen musste, der arme Kerl.
Er hatte zwei Wochen später Geburtstag und ich hatte eine brillante Idee für ein Geschenk. Also habe ich mir zwei Notizbücher besorgt und schrieb per Hand eine Geschichte über ein kleines Mädchen – eine totale Streberin mit kurzem braunen Haar und Brille, die zudem noch lispelte – die jeden aus Star Trek rettete. Jeder verliebte sich in sie (einschließlich Mr. Spock, der ja eigentlich keine Emotionen hat), ehe sie starb, um die Welt zu retten.
Ich war mächtig stolz darauf. Ich hab sogar an den Rand Bilder gemalt. Ich hab eine Schleife darum gebunden und gab es meinem Bruder an seinem Geburtstag, der ungefähr folgendes erwiderte: „Was zum Teufel ist das? Star Trek?!“
Danach schrieb ich eine lange Zeit nicht mehr.
Verrätst du uns, wie ein durchschnittlicher Arbeitstag für dich aussieht?
Na klar.
1. Der Wecker klingelt.
2. Ich verfluche den Wecker.
3. Ich rolle mich aus dem Bett und krieche ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen, und bemerke auf dem Weg, dass ich eine beeindruckende Menge Hundehaar staubsaugen muss.
4. Ich putze mir die Zähne.
5. Ich krieche in die Küche.
6. Ich ziehe mich auf meinen Schreibtischstuhl.
7. Ich schalte meinen Laptop an.
8. Ich starre auf meinen Laptop.
9. Ich starre auf meinen Laptop.
10. Ich starre auf meinen Laptop.
11. Ich beginne zu schreiben.
Wenn du eine fiktive Figur – aus deinen eigenen Werken oder aus denen eines anderen – treffen könntest: Wer würde es sein und warum?
Ich gebe zu, ich habe wirklich etwas für Dumbledore übrig. Und jetzt entschuldigt mich bitte, damit ich mich nach dieser Offenbarung vor Scham verstecken kann.
Anders als andere Autoren von Jugendbüchern hattest du niemals Schwierigkeiten damit, über homosexuelle Charaktere zu schreiben. Warum entscheiden sich deiner Meinung nach so viele Verleger und Autoren dagegen, über homosexuelle Teenager zu schreiben?
Ich wünschte, das könnte ich verstehen. Ich verstehe es nicht. Ich glaube, sie haben kein Problem damit, wenn es das zentrale Element eines Buches ist. Wenn es nur eine Nebenhandlung ist, scheint es für sie wesentlich schwieriger zu sein.
Aber ich bin kein Verleger, deshalb bin ich mir diesbezüglich nicht sicher.
Und warum ist es dir wichtig, darüber zu schreiben?
Ich kann mir gar nicht vorstellen, nicht über schwule und lesbische Charaktere zu schreiben, genauso wenig, wie ich mir vorstellen kann, nicht mehr über Charaktere zu schreiben, die blaue Augen haben, oder weiblich sind oder andere Kriterien erfüllen, die andere Leute aufstellen. Für uns Autoren istes wichtig, dass wir über die Wahrheit schreiben, dass wir eine Welt erschaffen, die so realistisch ist wie nur möglich. Das schulden wir den Jugendlichen.
Es ist außerdem wichtig, dass wir schwule und lesbische Charaktere auf eine natürliche Art und Weise zeigen, nicht nur in Problem-Büchern, in denen ihre Sexualität im Zentrum der Handlung steht.
Trotzdem gibt es keinen lesbischen oder schwulen Charakter in „Flüsterndes Gold“. Besteht die Chance, dass sich das im Verlauf der Reihe ändert?
Tatsächlich gibt es eine homosexuelle Figur in der Reihe. Es gibt sogar mehrere. Eine der Figuren adressiert das in einem der Bücher, aber es wurde bei der letzten Überarbeitung herausgestrichen.
Was fasziniert deiner Meinung nach junge Leser an düsterer, romantischer Urban Fantasy?
Sie bietet eine solch großartige Möglichkeit, alles um sich herum für eine Zeit zu vergessen, besonders in Zeiten des Krieges, der Rezession oder des Fanatismus. Wenn wir uns in epische Schlachten und große Romanzen verlieren können, in Welten entschwinden, wo so viel auf dem Spiel steht, dann hilft uns das dabei, mit unseren eigenen alltäglichen Problemen besser klar zu kommen. Ich glaube, je schrecklicher das eigene Leben wird, desto größer wird unser Bedürfnis, diese Jung-schen Prototypen epische Kämpfe auszufechten.
Und was fasziniert dich an Feen?
Ich liebe Pixies besonders, weil es so wenig Überlieferungen über sie gibt. Dadurch macht es Spaß, mit ihnen zu spielen. Es ist Recherche-technisch ein Herausforderung, ebenso wie eine kulturelle Herausforderung, deshalb versuche ich, sie etwas weniger Disney-artig darzustellen. Ja, ich weiß, dass Disneyfeen keine kulturhistorischen Feen sind – aber ich hab mich trotzdem von ihnen inspirieren lassen. Sorry!
Warum hast du dich dazu entschieden, nach deinen durch und durch realistischen Jugendbüchern einen Fantasyroman zu schreiben?
Mir wird sehr leicht langweilig. Das ist schrecklich. Und ich liebe Herausforderungen. Ich war immer eine so charakterorientierte Autorin, dass ich mir sagte: “Na komm, lass mal sehen, ob du auch was schreiben kannst, dass handlungsorientierter ist!” Es kam mir vor wie ein riesengroßes Experiment.
Wie viele Bücher über Zara und ihre Freunde wird es geben?
Vier, denke ich. Ich hoffe, dass es mir möglich sein wird, die ganze Geschichte zu Ende zu erzählen. Ich schreibe gerade am vierten Teil.
Nun, da „Flüsterndes Gold“ in Deutschland erscheint: Hast du Pläne, uns in absehbarer Zeit einen Besuch abzustatten?
Oh man, das hoffe ich. Ich liebe Deutschland. Ich hab während der Highschool mal ein Stipendium gewonnnen, um eine Weile dorthin zu kommen. Aber meine Mutter wollte mich nicht gehen lassen. Sie sagte, sie würde mich zu sehr vermissen. Und deshalb habe ich jetzt diesen Drang, unbedingt mal Zeit in eurem Land zu verbringen.
Gibt es auch bereits Pläne, deine anderen Bücher hierzulande zu veröffentlichen?
Nicht die realistischen Jugendbücher, aber die „Flüsterndes Gold“-Reihe sollte komplett übersetzt werden, hoffe ich. Es sei denn, sie verkaufen sich grottig und sorgen so dafür, dass alle Verleger mich hassen werden.
Verrätst Du uns zum Abschluss noch etwas über das Projekt, an dem du gerade arbeitest?
Es geht um einen Jungen. Ein Mädchen. Eine Farm. Einen Werwolf.
Nicht diese nette Art Werwolf, der diese göttlichen Brustmuskeln besitzt. Die Horrorfilm-Art Werwolf.
Das hat richtig Spaß gemacht! Vielen Dank für das Interview und Deine Zeit! Und natürlich alles Gute sowohl für dein Privat- als auch dein Berufsleben!
„Flüsterndes Gold“ könnt ihr übrigens hier bei Amazon bestellen oder (auf Englisch) als Hörbuch bei Audible downloaden (hier).
Carrie Jones Website findet ihr hier!
Sehr schönes Interview mit einer sehr sympathischen und unterhaltsamen Autorin! Zunächst hielt ich das Buch tatsächlich für Romantic Kitsch, nur mit eben diesem Phobien Mädel, als kleine Besonderheit und ein paar Antworten in dem Interview deuten auch auf so etwas hin (die knackigen Skilehrer).
Aber es scheint ja erfreulichweise doch in eine etwas andere Richtung zu gehen :)
Sehr cool auch ihre Beschreibung eines Arbeitstages^^ Das kommt mir so vertraut vor wenn ich manchmal an meinem Blog sitze und auf das weisse Textfeld blicke^^
Kommentar by Feenfeuer — 25. September 2010 @ 14:28
Ja, Carrie Jones ist wirklich super-witzig. Leider habe ich glaube ich ihre lustige Art nicht unbedingt großartig ins Deutsche übersetzen können.
Schau dich mal auf ihrer Website um: Sehr lustig, teilweise!
Kommentar by Darkstar — 25. September 2010 @ 18:22
Och doch, ich fand ihre Antworten lustig :) Das ist dir schon gut gelungen!
Kommentar by Feenfeuer — 26. September 2010 @ 16:25
Ich hatte eigentlich nicht vor, das Buch zu lesen, weil es YA ist und ich aus der Zielgruppe raus bin. Aber Eure Antworten haben mich das Interview überfliegen lassen und ich bin wankelmütig geworden.
Aber noch mal Allgemeines: *hüstel*
@Feenfeuer: Romantic Kitsch? “erfreulicherweise” in eine andere Richtung? Habe ich Dir solche Reden immer noch nicht abgewöhnt? ;) Ich sollte Dir endlich mal ein eines heraussuchen, das ich empfehlen würde. Die Frage ist nur, ob Du es auch liest.
Werte dieses Kommentar als hochgehobenen Zeigefinger.
Kommentar by Soleil — 29. September 2010 @ 11:12
@Soleil: Hihi, ich dachte mich hier in Gefilden zu bewegen, die deinem strengem Blick möglicherweise entgehen würden^^
Ich hatte echt gedacht das sei jetzt im Prinzip eine Vampirromanze nur ohne Nackenbeisser und stattdessen mit Feenwesen. Ich habe ja nix gegen Romantik, finde es aber sehr gut das die Autorin in ihrem Buch eigene Wege geht und nicht den 185sten Biss Nachahmer vorlegt.
Kommentar by Feenfeuerromantiker — 29. September 2010 @ 14:05
Siehst Du und wenn Du es so formulierst, klingt es schon ganz anders, dann finde ich es nämlich auch gut. ;)
Ich finde aber nicht, dass es sooo viele Biss-Nachfolger gibt, das Buch mochte ich nämlich eher weniger und bin froh drum ;)
Und nee, also wenn Du Dich vor mir verstecken willst, dann nicht hier, hier schaue ich sehr regelmäßig rein und lese mich durch.
Kommentar by Soleil — 2. Oktober 2010 @ 12:53
[…] Mein Interview mit Carrie Jones findet ihr hier! […]
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