Vorgestern habe ich zwei der vier diesjährigen Märchen-Neuverfilmungen der ARD hier auf dem Blog vorgestellt.
Heute geht es weiter. Während die beiden Märchen, die am 1. Weihnachtsfeiertag ihre Premiere feiern, recht erdig und in bodenständigen Milieus spielen, entführen die Filme, die am 2. Weihnachtsfeiertag ausgestrahlt werden, in ungleich phantastischere Gefilde: hinein in die verwunschene Unterwasserwelt der Meerjungfrauen und hinab in die Untiefen der Hölle.
Was erwartet uns am zweiten Weihnachtsfeiertag:
Nach der Ausstrahlung von zwei Produktionen aus früheren Jahren (”Hänsel und Gretel” aus 2012 und “Der Froschkönig” aus 2008) läuft am 26. Dezember 2013 ab 14:10 Uhr “Die kleine Meerjungfrau” und im Anschluss um 15:10 Uhr “Der Teufel mit den drei goldenen Haaren”.
Die ARD hat sich in Zusammenarbeit mit dem MDR und dem SWR also wieder sowohl für ein Märchen aus der Feder von Hans Christian Andersen und für eines aus der Sammlung der Brüder Grimm entschieden. Und wie am Vortag spielt in einem von beiden das Meer eine große Rolle:
Die kleine Meerjungfrau
Die Meerjungfrau Undine lebt im Reich ihres Vaters, dem Meerkönig, auf dem Grund des Ozeans. Anders als ihre beiden älteren schwestern Aquarella und Melusine genügt es ihr jedoch nicht, durch das Meer zu schwimmen und sich herauszuputzen. Sie träumt von einer Welt, die ihr verboten ist: von der Welt der Menschen, dem Leben auf dem Land.
Nacht für Nacht schwimmt sie zu einem Felsen in Küstennähe und gibt sich ihren Träumen hin. Dort begegnet sie zum ersten Mal dem Prinzen Nikolas, den sie vor dem Ertrinken rettet, ohne sich ihm zu Erkennen zu geben. Vergessen kann sie den schönen Menschenmann jedoch nicht. Und so übertritt sie ein weiteres Verbot: Sie wagt sich in die Unterwassergrotte der geheimnisumwitterten Meerhexe Mydra und bittet sie um Hilfe …
Das Märchen von der kleinen Seejungfrau ist die wohl bekannteste Erzählung des dänischen Dichters Hans Christian Andersens – nicht zuletzt vermutlich auch wegen der zauberhaften, aber recht freien Disney-Zeichentrickinterpretation “Arielle die Meerjungfrau”, die das düstere Ende der Vorlage vollkommen ignoriert.
Mit Sicherheit ist es ein Märchen, dass eine TV-Filmcrew vor ganz besondere Herausforderungen stellt. Das tragische Finale von Andersens Mär eignet sich nicht unbedingt für eine Umsetzung in einen Kinder- und Familienfilm zur Weihnachtszeit, und die Tatsache, dass ein großer Teil der Geschichte unter Wasser spielt, ist vermutlich produktionstechnisch ein Albtraum. (Wie das wunderschön gelingen kann, beweißt die tschechische Verfilmung aus dem Jahr 1976 mit Miroslava Safrankova in der Hauptrolle). Noch 2011, als ich während eines Set-Besuchs bei den Dreharbeiten zu “Das blaue Licht” mit der Produzentin sprach, schätzte man die Umsetzung gerade dieses Märchens als extrem herausfordernd ein. Umso überraschter und erfreuter war ich, dass die ARD sich nun doch an den Stoff gewagt hat.
Umgesetzt wurde das Märchen von Regisseurin Irina Popow nach einem Drehbuch von Bettine von Borries, von der z. B. das Drehbuch zu “Hexe Lilli: Die Reise nach Mandolan” stammt. Erfreulich ist, dass sie sich für eine freche kleine Meerjungfrau entscheiden. Undine ist keine, die brav zu Hause sitzt und tut, was man ihr sagt. Sie hat ihren eigenen Willen, kämpft für die Erfüllung ihrer Wünsche und – da ich davon ausgehe, dass wir alle das Märchen kennen, darf ich das sagen – muss die bittere Erkenntnis machen, dass nicht alle unsere Träume in Erfüllung gehen, egal, wie hoch der Preis ist, den wir dafür gezahlt haben.
Insofern funktioniert die ARD-Verfilmung als Coming of Age-Mär, und Hauptdarstellerin Zoe Moore, die etwa die Hälfte des Films “stumm” spielen muss, gelingt es gut, ihre Gefühle gut mit ihrer Mimik zu transportieren. Extrem toll fand ich, dass es gerade zu Anfang eine Sequenz gibt, in der man die Meerjungfrauen beim Schwimmen unter Wasser beobachten darf – und dass man sich dafür entschieden hat, die Meerjungfrauen mit einem Fischschwanz zu portraitieren. Das ist eine Entscheidung, die leicht in die Hose hätte gehen können, da einem ARD-Fernsehfilm ja kein Hollywood-Budget zur Verfügung steht. Hier ist es aber toll gelungen. Natürlich gibt es Einstellungen, in denen man sieht, um was es sich bei dem “Fischleib” wirklich handelt – aber insgesamt überzeugt der mit glänzenden Schuppen besetzte Meerjungfrauenschwanz. (Weniger hingegen die etwas strohige Perücke von Undine).
Um die Unterwasserwelt in Szene zu setzen, hat man in den Saalfelder Feengrotten gedreht. Auch eine tolle Entscheidung, denn das Ambiente wirkt wahrhaft magisch. Weniger magisch zwar Undines Tang-Schaukel und die Riesen-Plastik-Muscheln, in denen die Meeresschwestern schlafen, aber die Einfälle sind gut und Kindern dürfte das sehr gefallen.
Die Darsteller Zoe Moore und Philipp Danne (Prinz Nikolas) überzeugen in den Hauptrollen; einen kleinen Auftritt hat auch Maria Ehrich (“Rubinrot”) als Prinzessin, die Nikolas vermeintlich für seine Retterin hält. Den Meerkönig und die Hexe Mydra verkörpern die Geschwister Ben und Meret Becker – beides versierte Schauspieler, die mich hier aber nicht ganz überzeugt haben. Vielleicht liegt es auch hier daran, dass sie aus meiner Sicht zu sehr “für ein Kinderpublikum” gespielt haben. Hinzu kommt, das das komplette Potential, das in Mydra zu stecken scheint, nicht herausgeholt wurde.
Es gibt nicht allzu viele große Verfilmungen der “kleinen Seejungfrau”. Deshalb muss sich aus meiner Sicht die ARD-Verfilmung sowohl mit Disneys “Arielle” als auch mit dem bereits erwähnten tschechischen Märchenfilm aus dem Jahr 1976 messen lassen. Und gerade im direkten Verbleib schlägt sich die Neuverfilmung nicht so gut. Undine hat nicht den Charme von Arielle, und der Film selbst und seine Figuren wirken gegen die zugegebenermaßen großartige tschechische Verfilmung zu flach und künstlich. Vielleicht liegt es auch daran, dass es sich bei Andersens Vorlage im Grunde um eine tragische Liebesgeschichte handelt, in die man hier zu stark Elemente geschaufelt hat, die vor allem Kinder zum Schmunzeln bringen sollen.
Andererseits muss man dem kompletten Produktionsstab bescheinigen, dass die Verfilmung ein sehr mutiges Unterfangen ist und es auch in vielfacher Hinsicht gelungen ist. Ebenfalls angenehm überrascht war ich über die gelungene Gratwanderung, ein passendes, nicht allzu trauriges Ende für den Film zu finden, ohne der Andersen-Vorlage zu untreu zu werden. Hier kann die Produktion deutlich Punkte wettmachen.
Insgesamt ist diese “kleine Meerjungfrau” für mich weniger eine Familienfilm-Version des Märchens als eine Kinderfilm-Version, und ich glaube, gerade die Kleinen werden den Streifen immer wieder gern ansehen und sich auch und gerade über die Momente freuen, die ich gerade kritisiert habe. Nun könnte man argumentieren, für Kinder seien diese Filme schließlich gemacht. Dem möchte ich insoweit widersprechen, als dass sie eben nicht nur für Kinder sind und die “Sechs auf einen Streich”-Reihe bereits in diversen Produktionen Stoffe so interpretierte, dass sie auch – manchmal vielleicht sogar vor allem – ein erwachsenes Publikum ansprachen. “König Drosselbart” etwa, oder “Die kluge Bauerntochter” – beide Filme für mich übrigens zwei der Highlights der Reihe.
“Die kleine Meerjungfrau” sehe ich im Kontext der Reihe eher bei “Frau Holle“. Und so wird er ganz sicher sein Publikum finden.
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Der Teufel mit den drei goldenen Haaren
… ist vermutlich eines der Grimms Märchen, das man noch irgendwie im Hinterkopf hat, von dem man aber nicht mehr so hundertprozentig genau weiß, was darin eigentlich genau passiert – und warum.
Die ARD-Verfilmung sorgt da für Abhilfe, denn sie bleibt erfreulich treu an der Vorlage, versäumt es aber nicht, moderne Akzente zu setzen. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte “Der Teufel mit den drei goldenen Haaren” für eine wunderbar gelungene Märchenverfilmung für die ganze Familie: abenteuerlich, phantastisch, romantisch, gruselig – da ist für alle was dabei.
Jetzt aber erstmal zum Inhalt:
Der junge Felix wurde mit einer Glückshaut geboren – ein Omen, demnach diesem jungen Menschen alles gelingen kann, vielleicht sogar eine Heirat mit der Tochter des Königs. Als dem König dieses Gerücht zu Ohren kommt, ist er allerdings wesentlich weniger angetan von dieser Vorstellung als seine Untertanen. Kurzentschlossen sucht er die Eltern des Knaben auf, überzeugt diese, ihm den Säugling zu überlassen – und setzt das hilflose Baby auf einem Fluss aus.
Aber Felix ist ein Glückskind, und so wird er gerettet und wächst zu einem stattlichen Jungen heran. Als der König ihm Jahre später wieder begegnet, geht ihm auf, dass sein Plan schief gegangen ist. Deshalb schickt er Felix voraus in sein Schloss – mit einem Brief, in dem er seinen Richtern befiehlt, den jungen Mann hinzurichten. Aber Felix trifft Räuber im Wald, die den versiegelten Brief aufbrechen und sich dazu entschließen, dem König kräftig eins auszuwischen. Sie schreiben einen neuen Brief, in dem der Haushofmeister aufgefordert ist, Felix bei seiner Ankunft im Schloss sofort mit der Prinzessin zu verheiraten.
Als der König einige Tage später nach Hause zurück kehrt, findet er nicht einen Toten vor, sondern einen neuen Schwiegersohn. Ein neuer Plan muss her, ein endgültiger. Und so schickt der König Felix auf eine gefährliche Mission. Er soll in die Hölle reisen und ihm die drei goldenen Haare des Teufels beschaffen …
Regisseurin Maria von Heland (Große Mädchen weinen nicht; die 2011er Märchen-Verfilmung “Die Sterntaler“) und Drehbuchautor Rochus Hahn (Das Wunder von Bern) halten sich wie gesagt eng an die Vorlage und inszenieren so eine wunderbare Märchenverfilmung mit tollen Bildern – und einem wunderbar modernen Twist. Denn im Film macht sich Felix nicht allein auf die Suche nach einem Weg in die Hölle. An seine Fersen heftet sich seine Braut, Prinzessin Isabell. Hat die sich vor und während der Hochzeit noch verständlicherweise besonders widerspenstig gezeigt (ganz nach dem Motto: “den wildfremden Kerl soll ich heiraten? Das soll wohl ein Witz sein! Mein Vater hat den Verstand verloren!”), steht sie ihrem frisch angetrauten Ehemann jetzt treu zur Seite. Allerdings ohne, dass er das ahnt – denn Isabell hat sich als Jäger verkleidet, um ihn inkognito bei seinem gefährlichen Abenteuer zu begleiten.
Jakub Gierszal und Saskia Rosendahl geben sehr sympathisch die jugendlichen Helden. Die Beziehung der beiden steht im Mittelpunkt und sorgt für eine heitere Atmosphäre, die den düsteren Charakter der Geschichte – den Abstieg in die Hölle und die Auseinandersetzung mit dem Teufel – auflockert.
Dessen Auftritt fällt trotz des prominenten Verweises im Titel – wie im Märchen auch – recht kurz aus. André M. Hennicke gibt mit sichtlich Spaß den dandyhaften Höllenfürsten, der nicht nur von Felix und Isabell, sondern auch von seiner eigenen Großmutter über den Tisch gezogen wird.
Gut gefallen hat mir auch, dass die Filmemacher eine tolle Erklärung dafür finden, warum der König (Thomas Sarbacher) Felix in die Hölle schickt: Er ist besessen davon, einen Weg zu finden, wie man Gold herstellt, und nach zahlreichen Fehlschlägen glaubt er in einem alten Buch die Zutat gefunden zu haben, die ihm noch fehlt: die drei Haare.
Abgesehen von einer Kleinigkeit – die ich aus Spoilergründen nur als Fußnote *) erwähnen möchte – ist die ARD-Verfilmung dieser märchenhaften Höllenfahrt himmlisch gelungen. (Mich persönlich hat sie mehr überzeugt als die ZDF-Verfilmung von vor ein paar Jahren). Für mich gehört der Streifen zu den besten Filmen der “Sechs auf einen Streich”-Reihe.
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Fotos:
Die kleine Meerjungfrau: (c) MDR / Sandra Bergemann
Der Teufel mit den drei goldenen Haaren: (c) SWR / Egon Werdin
*) ACHTUNG SPOILER:
Was mir bei “Der Teufel mit den drei goldenen Haaren” nicht so gut gefallen hat ist die Tatsache, dass Felix Isabell trotz ihrer nicht besonders guten Verkleidung nicht erkennt. Ich hätte aus der Not eine Tugend gemacht und Felix Isabell erkennen lassen, ohne ihr zu zeigen, dass er weiß, wer sie ist. So hätten sich beide unbeschwert näher kennenlernen können und Felix hätte Isabell bewusst mit einigen clever gesetzten Sprüchen absichtlich reizen können – und nicht versehentlich, wie hier geschehen. Das ist aber, wie gesagt, nur eine Kleinigkeit.
Den ersten Teil meiner Preview zu den diesjährigen ARD-Märchen findet ihr hier!