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19. Mai 2019

Interview mit Jenny-Mai Nuyen

Category: Interviews – Darkstar – 20:10

Die Töchter von Ilian

Mit Die Töchter von Ilian meldet sich Jenny-Mai Nuyen (Nijura – Das Erbe der Elfenkrone) in der High Fantasy zurück.

Ihr ca. 650 Seiten starker Einzelband hebt sich sowohl sprachlich als auch inhaltlich deutlich von der Konkurrenz ab: Magische Gegenstände, die an Kraft gewinnen, wenn sie verschenkt werden, aber schwächer werden, wenn man sie raubt; eine Hochkultur, die im Matriarchat lebt – und ein wunderbarer Stil.

Mich hat das Buch umgehauen. Deshalb habe ich mich auch besonders darüber gefreut, die junge Autorin in Berlin zum Interview zu treffen.

Interview mit Jenny-Mai Nuyen

In Die Töchter von Ilian sind Zwerge keine gedrungenen, bärtigen Bergarbeiter, sondern edel und kultiviert. Wolltest Du bewusst mit Klischees brechen?

Ich hatte nicht absichtlich vor, mit Klischees zu brechen, hatte aber auch nicht den Hang, mich an Klischees zu halten.

Wie entstand die Idee zum Roman?

Die Idee zu diesem Buch entstand wie folgt: Zum Schreiben eines anderen Buches bin ich oft in die Bibliothek meiner Uni gefahren. Auf dem Weg zur Toilette kam ich immer an der archäologischen Abteilung vorbei. Dort lagen viele Bücher aus. Ich habe immer dorthin gespäht, bin aber schnell vorbei gelaufen.

Aber irgendwann hat es mich nicht mehr losgelassen. Ich dachte: Ich bin umgeben von solch interessanten Dingen und ich laufe immer daran vorbei, um zu schreiben, das ist doch auch albern. Wer sind eigentlich Menschen, wie sind wir zustande gekommen? Ich musste mir das anschauen.

Also habe ich mich irgendwann hingesetzt, und „Geschichte der Menschheit“ aus dem Regal gezogen. Das war eine Einführung in unsere biologische Entwicklung. Ich habe das ganze Buch mehr oder weniger gelesen, manches überflogen. Und ich habe gemerkt, dass mich das Thema interessiert, ich musste dem nachgehen. Ich habe richtig viel gelesen, querbeet.

Bestimmte Sachen reizten mich mehr als andere: die Sachbücher, die grundsätzliche Fragen in mir berührt haben. Was ist eigentlich die Natur des Menschen? Waren Menschen schon immer so, wie wir sie heute sehen? Gab es schon immer eine hierarchische Struktur? Oder gab es eine Vorzeit, in der Menschen noch nicht so kultiviert waren wie wir es heute kennen? War damals das menschliche Miteinander auf eine bestimmte Weise gerechter?

Natürlich berührte das bei mir dann auch diese ganzen Geschlechterfragen. Ist es denkbar, dass es mal eine Zeit gab, in der es egal war, welches Geschlecht man hat? Ist es denkbar, dass Männer und Frauen einmal gleichberechtigt waren, obwohl Geschlecht eine Rolle gespielt hat? Oder war es so, dass die physiologische Verschiedenheit zwischen Männern und Frauen dazu geführt hat, dass Männer aufgrund ihrer Muskelkraft schon immer die Stärkeren waren? Gab es immer diese hierarchische Geschlechtertrennung, die wir in allen Hochkulturen beobachten können? Soweit ich weiß gibt und gab es niemals eine entwickelte Hochkultur, in der Männer nicht das dominante Geschlecht waren. Das hat mich einfach nicht losgelassen.

Findet man Antworten in solchen Fachbüchern?

Ja, man findet viele interessante Sachen. Es ging dann natürlich auch um Gruppensoziologie. Wie ist das bei kleineren Stämmen? Vieles spricht dafür, dass in den meisten Kulturen Männer das Sagen hatten. Vieles spricht aber auch dafür, dass es egalitäte Gesellschaften gab.

Letztlich glaube ich, dass die Vergangenheit der Menschen sehr divers war. Und gerade in kleinen Gruppen kann sich die Dynamik der Menschen untereinander so ändern, dass alles möglich ist.

Trotzdem wurden alle Hochkulturen, von denen wir wissen, von Männern dominiert. Das heißt für mich, es gibt einen Zusammenhang zwischen der plötzlichen Explosion der Population, Kriegsführung, Besitz aneignen – dass man Krieg führt, um mehr zu besitzen, dass man sich Sklaven holt, damit sie für einen arbeiten. Es gibt Reiche und Arme. Und Frauen sind in der Gesellschaft weniger angesehen.

Ist der Drang nach Besitz etwas typisch Männliches?

Nein, ich weigere mich, daran zu glauben, dass das Geschlecht einen so starken Einfluss auf den Charakter eines Menschen hat.

Aber was ich interessant fand, war, dass die hierarchische Einteilung nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Arm und Reich und Besitzern und Besessenen einhergeht mit einem großen Entwicklungsschritt.

Ist diese Ungerechtigkeit der Preis, den man für Fortschritt zahlt? Ist Fortschritt immer gut? Oder gab es mal eine Zeit, eine Welt, die wir aufgegeben haben für den Fortschritt? Und war das, was wir für den Fortschritt aufgegeben haben, vielleicht viel mehr wert?

Versuchst du in deinen Büchern Antworten zu finden oder Fragen zu stellen?

Beides, glaube ich.

Ich versuche, nicht mit erhobenem Zeigefinger zu schreiben. Das wäre total langweilig zu lesen und meistens weiß ich die Antworten ja auch nicht.

Mich treiben zu bestimmten Zeiten bestimmte Fragen um und irgendwann weiß ich, wie ich diese Fragen in Geschichten behandeln kann. Wie ich mich selbst annähern kann an ein Thema, um mögliche Antworten abzuklopfen und zu schauen, ob ich mit ihnen zufrieden bin.

Nicht nur deine Kulturen, auch deine Figuren haben mich fasziniert, in erster Linie natürlich Walgreta und der Waldelf. Würdest du ihn als genderfluid bezeichnen?

Ich würde sagen, biologisch gesehen ist er eine Frau, aber vom sozialen Geschlecht gesehen ist er definitiv ein Mann. Es bleibt offen, ob er schon immer ein Mann im falschen Körper war oder ob bestimmte traumatische Ereignisse ihn dazu getrieben haben, dass er sich mehr mit seiner männlichen Seite assoziiert als mit seiner weiblichen. Weil die Weibliche mit zu viel Trauma verbunden ist.

Natürlich ist dein Buch ganz anders und sehr eigen, aber die Kaste der Priesterinnen und ihre Rituale haben Anklänge an Marion Zimmer Bradleys historisch-phantastische Bücher und auch Dein Verlag vergleicht Dich mit der Autorin. Empfindest Du das als schmeichelhaft?

Ja, weil ich Die Nebel von Avalon liebe. Es ist auch für mich einer der besten Fantasy-Romane aller Zeiten.

Das Thema starke Frauen in der Fantasy wird derzeit wieder konträr diskutiert. Hast du das Gefühl, in der heutigen Fantasy gibt es zu wenig starke Frauen?

Es ist immer die Frage, was man unter starken Frauen versteht.

Es gibt extrem viele Schwertkämpferinnen und Drachenreiterinnen und all diese typischen Frauenfiguren, die stark sein sollen, weil sie eigentlich so gut sind wie Männern. Für mich persönlich ist das nicht so ganz das, was ich unter einer starken Frau verstehe.

Ich glaube, die Vorurteile, die ich in mir selber noch wahrnehme – geschlechterspezifische Vorurteile -, und die ich gern loswerden möchte, ist z.B., dass Männlich typischerweise mit gut assoziiert wird und Weiblich typischerweise mit schlecht. Wenn Frauen dann „so sind wie Männer“, sind sie stark und toll. Aber wenn sich männliche Figuren „wie Frauen verhalten“, sind sie sofort lächerlich und blöd und nervig.

Wenn jetzt jemand herumläuft und der beste Schwertkämpfer ist, egal ob männlich oder weiblich, ist das für mich nicht unbedingt ein Zeichen von Stärke. Starke Frauenfiguren wären für mich persönlich Figuren, die durchaus auch typisch weibliches Verhalten an den Tag legen, ohne dass sie dadurch schwach wirken. Alle Figuren in Ilian zeigen Schwäche.

Gerade der Umgang mit Schwäche ist das, wodurch sich Stärke zeigen kann.

Was war für dich die größte Herausforderung beim Schreiben?

Herauszufinden, inwiefern ich mich an die archäologische Inspiration halten wollte und wie sehr ich mich vom Faktischen, von der Realität wegbewegen sollte.

Ursprünglich hatte ich vor, eine prähistorische Geschichte zu schreiben. Sie sollte 5.000 vor Christus in Nordeuropa spielen. Ich musste also überlegen, wie sehr halte ich mich an Fakten. Lasse ich die Leute in Fellen und Lederkleidung herumlaufen? Oder dürfen sie andere Stoffe tragen? Darf der Alltag phantastisch verschönert werden? Ich hatte nämlich große Lust auf die Atmosphäre einer Fantasygeschichte.

Wenn man heute etwas in der Prähistorie liest, ist da immer diese Distanz. Man spürt zu den Figuren eine gewisse Entfremdung, zum Beispiel, wenn sie ihre Lederhäute gerben, indem alle im Kreis stehen und draufpissen. Klar, so muss es gewesen sein. Die Menschen müssen ganz anders mit der Natur verbunden gewesen sein als heute.

Ich wollte Menschen einer anderen Zeit und anderen Welt von Innen heraus betrachten, und da kommt für mich Fantasy ins Spiel. Das Weltgefühl der Menschen zu erfassen, wie sie vor 5000 Jahren vielleicht gelebt haben, fällt über den Umweg einer erträumten Fantasy leichter.

Du hast eine Zeit lang Film studiert. Welche Möglichkeiten hat man in einem Roman, den man im Film nicht hat?

Oh Gott, unendlich viele!

Aber ich glaube, der für mich wichtigste Unterschied ist der Umgang mit Sprache. Sprache hat einen sehr ästhetischen Wert, der nicht visuell übertragen werden kann.
Wenn ich mir Namen ausdenke, geht es nicht nur darum, wie sie klingen. So würde man es beim Film oder einer Serie machen. Es geht auch darum, wie der Name tatsächlich aussieht.

Auch Gefühle und Ereignisse in Sprache zu fassen ist etwas ganz Anderes, als sie in Bildern auszudrücken. Beide Kunstformen haben ihre Stärken und Schwächen, die für sich genommen sehr viel wert sind.

Wie wertvoll war das Filmstudium für Dein Schreiben?

Ich würde niemandem empfehlen, etwas Künstlerisches zu studieren.
Ich glaube, wenn man wirklich Filmemacher werden will, dann macht man einfach Filme. Die ersten sind vielleicht schlecht. Man muss aus seinen Fehlern lernen. Man muss weitermachen, Erfahrungen sammeln.
Man muss sich nicht bei jemandem bewerben und in der Uni sitzen und zuhören. Vordergründig geht es erstmal darum, dass Du Bock darauf hast und es machst.

Wenn ich sage: Geht nicht zu einer Schule, um zu lernen, wie man Künstler in XYZ wird, meine ich damit allerdings nicht: Man muss nicht lernen. Man muss die ganze Zeit lernen! Aber ich glaube, man kann das auch allein machen. Ich glaube tatsächlich, dass keine Schule aus jemandem einen besseren Schriftsteller macht oder einen besseren Filmemacher. Man kann das Handwerk vielleicht ein bisschen lernen. Man kann nachahmen. Aber entweder hat jemand diese eigene Stimme oder schöpferische Kraft oder eben weniger.

Persönlich ist es mir immer lieber, wenn jemand sein eigenes Ding macht, als dass er sich an Regeln halten kann. Ganz unabhängig davon, wie stark ausgeprägt Talent oder dieses geheimnisvolle Etwas in einem Menschen ist: Originalität ist sehr, sehr wichtig.

Sie ersetzt nicht das Handwerk. Ich glaube total an Handwerk. Dass man immer wieder Abstand von dem nimmt, was man gemacht hat, und analysiert: okay, warum funktionieren manche Dinge nicht, die man gemacht hat, und warum funktioniert anderes? So erschließt sich einem die Struktur, die man Handwerk nennt. Wenn man das an sich lernt und analysiert statt zu anderen zu schauen und von vorneherein Fehler vermeidet, weil man sich an Regeln hält, ist das viel besser. Ich glaube, Fehler zu machen ist sehr, sehr wichtig.

Du warst sehr jung, als du angefangen hast zu Schreiben. Da hast du vom Handwerk wohl noch nicht so viel Ahnung gehabt.

Nein, gar nicht! Ich wusste ja noch nicht mal, dass es Bücher über das Schreiben gibt. Deswegen habe ich auch ganz viele dumme Fehler begangen. Mein erster Roman war vermutlich ziemlich langweilig, weil meine Hauptfiguren sich zu früh ineinander verliebten. Schnell habe ich festgestellt: Es ist irre langweilig, wenn man ein Liebespaar zusammen auf eine Reise schickt. Seither weiß ich: Liebespaare müssen sofort getrennt werden. Die dürfen nicht zusammen sein. (lacht)

Das kann man sicher in einer Schreibschule lernen. Man kann aber auch anfangen, Filme zu analysieren und Bücher.

Du studierst Philosophie? Ist es dir wichtig, dass ein Buch eine Botschaft hat?

Botschaft ist nicht das, was ich in ein Buch hineinlegen will, aber so etwas wie Fragen.

Ich glaube, das ist auch das, was ich am liebsten lese. Danach will ich das Gefühl haben, dass ich ganz viel Nachdenken muss. Nicht, um das Buch zu verstehen, sondern weil mir Fragen mitgegeben wurden und ich diese Fragen so oder so beantworten könnte. Das ist ja irgendwie das Spannende. Und das möchte ich gern in meine Geschichten hineinlegen.

Wird es mehr Geschichten aus Ilian geben?

Das steht noch nicht fest.

Ich hätte Lust, noch mal in diese Welt einzutauchen. Vielleicht nicht mit den Figuren, die überlebt haben, sondern mit Figuren, die in der Geschichte noch jung sind. Die nächste Generation sozusagen. Ob das möglich sein wird, hängt davon ab, wie das Buch sich am Markt schlägt.

Vielen Dank!

Die Website der Autorin: Jenny-Mai Nuyen

Mehr über Autorin und Buch bei Tor-Online.

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