Kim Harrisons Auftakt ihrer Rachel Morgan-Reihe ist ein in mehr als einer Hinsicht wuchtiges Werk: Nicht nur, dass “Blutspur” um einiges Seitenstärker ist als die üblichen Mystery-Romane. Die Welt, in der der Roman spielt, ist so komplex angelegt und die Charaktere sind so vielschichtig gestaltet, dass Harrison sich vermutlich ausreichend Potential für zahlreiche weitere Bände geschaffen hat.
Anders als das Groß ihrer Kolleginnen – Mystery-Romane scheinen überwiegend von Frauen verfasst zu werden, Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel – siedelt sie ihre Geschichte nicht in einer Welt an, die mit der unseren identisch ist bis auf die Tatsache, dass einer überschaulichen Anzahl Menschen die Existenz nichtmenschlicher Wesen (Vampire, Werwölfe – der übliche Kram eben) bekannt ist, sondern geht noch einen Schritt weiter:
Seit nach einer globalen Seuche – ausgelöst durch eine genmanipulierte Tomate – die Menschheit erschreckend dezimiert wurde, hat sich das Antlitz der Welt grundlegend verändert: Nicht nur, dass Gentechnik und biologische Forschungen seither aufs Ärgste verpönt sind (und unter Strafe stehen), die nichtmenschlichen Rassen, die diese Welt bevölkern, haben ihr Schattendasein aufgegeben und sich sozusagen geoutet: Denn die „Inderlander“ – so der Oberbegriff für sämtliche Nicht-Menschen wie Werwesen, Vampire, Kobolde, Hexen, Fairys und und und – waren und sind gegen das tödliche Gen immun. Diese Outing hat allerdings massive Folgen nach sich gezogen.
Da menschliche Behörden selbstredend nicht gegen die dunklen Mächte so mancher Inderlander ankamen – wie etwa den missbräuchlichen Einsatz von Magie – wurden neue Institutionen ins Leben gerufen, die für Recht und Ordnung sorgen sollen. Die Erdhexe Rachel Morgan arbeitet für solch eine Behörde. Sie ist ein Runner – praktisch ein Feldagent, der schwarze Hexen, wildgewordene Werwölfe oder assoziale Vampire Dingfest machen soll. Obwohl sie zu den besten ihrer Einheit gehört, hat Rachel moemtan eine berufliche Pechsträhne: Die Aufträge, die sie bekommt, sind unter ihrem Niveau – und dann passieren ihr bei deren Erfüllung auch noch dermaßen peinliche Fehler, dass es eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Das tut es auch nicht, wie sie erfährt, als sie schließlich in einer spontanen Aktion ihren Job an den Nagel hängt. Ihr Boss kann sie nämlich nicht leiden und ist froh, sie loszuwerden – schließlich hat er sie eine ganze Weile lang sabotiert, wo er nur konnte, um genau das zu erreichen. Als aber die lebende Vampirin Ivy ihren Job ebenfalls an den Nagel hängt, um sich mit Rachel und dem Pixie Jenks selbständig zu machen, dreht ihr Boss durch und setzt ein Kopfgeld ausgerechnet auf Rachel aus. Bald schon wird dieser klar, dass es a) nicht so einfach ist, mit einer – wenn auch abstinenten – waschechten Vampirin mit lesbischer Ader zusammen zu leben und b) es verdammt schwierig ist, am Leben zu bleiben, wenn ganze Horden schwarzmagischer Inderlander einem den Gar aus machen wollen.
Dadurch, dass die Autorin dieser Prämisse auch noch Dämonen, Zauberamulette, Verwandlungstränke, Leprechauns, ein Erotikhandbuch für Vampire und nervige Vermieter hinzufügt, wird es sehr schnell richtig bunt.
Es ist eine facettenreiche Parallel-Welt, die Harrison für ihre Romanreihe entworfen hat und die sie in „Blutspur“ zunächst nur oberflächlich vorstellt. Schnell ist klar, dass die Autorin nur häppchenweise jene Informationen zuspielt, die für das Verständnis der Story wichtig sind, dass sie jedoch für die Folgebände noch viel mehr in petto hat. Das erweist sich als sehr geschickt, sorgt es doch für einen schnellen Lesefluß und weckt die Neugier auf mehr.
Ebenso viel Potential wie ihrem Handlungsort verleiht Kim Harrison auch ihren Figuren selbst: Rachels Kräfte als Erdhexe, Ivys undurchsichtige, die wahre Identität von Rachels Antagonist Trent – man merkt, dass da im Verlauf der Reihe noch einiges auf einen zukommen wird. Erfreulicherweise sind sämtliche Figuren auch interessant genug, als dass ser Leser diese verborgene Seite der Charaktere auch tatsächlich kennenlernen will.
Es verwundert demnach nicht, dass die Handlung des ersten Rachel Morgan-Romans zwar im Großen und Ganzen in sich abgeschlossen ist, eine ganze Reihe von Storyfäden jedoch noch in der Luft hängen. Wie kam Rachels Vater um? Welchen Dienst wird ein gewisser Dämon für seine Hilfe einfordern? Was versucht Ivy zu verheimlichen?
All diese Fragen machen neugierig auf die nachfolgenden Romane einer Mysterywelt, die gleichsam gut durchdacht, detaillreich und doch erfrischend anders ist als die üblichen Vertreter dieses Genres. Wie schön, dass Band 2 und 3 bereits auf deutsch erschienen sind und Band 4 für Januar 2009 bereits vorangekündigt wurde.
Die Aufmachung ist dem Heyne Verlag gut gelungen und auch die deutsche Fassung liest sich flüssig. Einziger Wehrmutstropfen ist wohl die uninspirierte Übersetzung des im Original wirklich originellen Titels („Dead Witch Walking“). Darauf kommt es allerdings schlussendlich nicht an, wie man sehr schnell merkt, wenn man dem rund 600 Seiten starken Roman eine Chance gibt
Fakten:
Titel: Blutspur
Autorin: Kim Harrison
Reihe: Rachel Morgan, Band 1
Original-Titel: Dead Witch Walking
Übersetzung: Alan Tepper und Isabel Parzich
Verlag: Heyne, Januar 2007
Aufmachung: Taschenbuch, 576 Seiten
Preis: € 13,-
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