Es war einmal eine dunkle Fee, die sich in einen König verliebte, eine Prinzessin, die ein Kind mit einer steinernen Haut zur Welt brachte und zwei Brüder aus einer anderen Welt, die in einem Reich voller Wunder ihre Herzen verloren …
In Das Goldene Garn, Cornelia Funkes neuem Reckless-Roman, kehren Jacob und Will Reckless erneut in die Welt hinter dem Spiegel zurück – allerdings getrennt voneinander. Anlässlich der Veröffentlichung von Buch und Hörbuch habe ich mit der Autorin ein ausführliches Interview geführt, dass ihr in der”Nautilus Nr. 135” nachlesen könnt, die gerade frisch erschienen ist.
Eine Review zum Hörbuch gibt’s allerdings bereits heute & hier:
Will sucht nach einem Heilmittel für seine Freundin Clara, die von einem Fluch ereilt wurde, für den es in der Menschenwelt keine Erlösung gibt. Sein Begleiter ist ausgerechnet der Goyl-Bastard Nerron, der mit seinem Bruder noch eine Rechnung offen hat. Gemeinsam jagen sie die Dunkle Fee, die von ihrem geliebten König Ka’mien verraten wurde und nun nach einem Weg sucht, das schmerzhafte Gefühl der Liebe in sich zu töten. Als Jacob und Fuchs davon Wind bekommen, eilen sie Jacobs jüngerem Bruder hinterher, um Schlimmes zu verhindern. Ihr Weg führt die unterschiedlichen Reisegruppen immer tiefer in die östlichen Gefilde der Spiegelwelt: ein Reich der Feuervögel, Zaren und Kosaken, in denen Zwergenspione, sprechende Bären und Baba Jaga-Hexen in ihren von flammenden Knochenschädeln umzäunten Waldhütten leben …
Es passiert viel im neuen Reckless-Band. Märchenhaft und abenteuerlich waren bereits Steinernes Fleisch und Lebendige Schatten, die ersten beiden Bände der Reihe. Mit Das Goldene Garn wird der phantastische Zyklus um eine Parallelwelt an der Schwelle zur Industrialisierung, in der es Drachen, Gnome und sämtliche andere Märchengestalten gibt, noch epischer:
Die Spiegelwelt wird größer. Zum einen natürlich, weil die Protagonisten durch das Reich des Zaren Nikolaij ziehen; zum anderen aber auch, weil strategisch geschickt der Orient, Tasmanien, China und sogar der amerikanische Kontinent erwähnt werden: Reiseziele für Folgebände?
Zudem nehmen die Perspektiven, aus denen die Autorin die Handlung erzählt, schlagartig zu. Neben Jacob, Fuchs und Will bekommen unter anderem die Dunkle Fee, der Goyl Nerron, Jacobs Freunde Donnersmarck und Dunbar sowie der verschollen geglaubte Vater der Reckless-Brüder eigene Kapitel. Außerdem deutet Funke an, dass auch deren verstorbene Mutter ein Geheimnis umgibt, das es noch vollständig zu enthüllen gilt. Die vor langer Zeit verschollenen Erlelfen machen sich daran, ein altes Unrecht, dass ihnen von den Feen zugefügt wurde, zu rächen und kündigen ihre Rückkehr an. Und das Publikum erfährt, wer die magischen Spiegel geschaffen hat, durch die der Wechsel zwischen den zwei Welten möglich ist. Scheint ganz so, als ob die Autorin sich in diesem Universum sichtlich wohl fühlt und noch eine Weile in ihm zu bleiben gedenkt. Sehr zur Freude der Hörer, denn der Funke springt eindeutig über.
Eingelesen wird Das Goldene Garn von Rainer Strecker, der nicht nur für sämtliche Charaktere jeweils die richtige Stimmung findet, sondern auch für die düster-märchenhafte Atmosphäre der Geschichte als solche. Auf die von der Autorin selbst gezeichneten Illustrationen muss man im Hörbuch natürlich verzichten. Dafür werden die Kapitel von eigens für das Hörbuch komponierten Instrumentalstücken unterbrochen, die das Kopfkino ordentlich ankurbeln. Die Welt der russischen Märchen erweist sich als gleichzeitig vertraut und unbekannt genug, um das Publikum in den Bann zu ziehen. Die Landkarte, die im Buch abgedruckt ist, findet man im CD-Booklet, so dass man die Reiserouten der Reckless-Brüder verfolgen kann.
Cornelia Funkes Schreibstil, Rainer Streckers Betonung und die Musik – miteinander verwoben entsteht erneut eine hypnotische Wirkung, die den Zuhörer verzaubert, in phantastischen Bildern schwelgen lässt und neugierig auf mehr macht. Das Goldene Garn schöpft das Potential der Spiegelwelt voll aus.
Neugierig geworden?