Etwas Schwarzes glitt pfeilschnell in der Luft dahin – eine Krähe, die neben ihrem Pferd dahinsegelte. Das glänzende Onyxauge schien sie zu mustern. So nah! Sie hätte die Hand ausstrecken und den Vogel berühren können. Für einige unwirkliche Momente spürte sie kaum noch, wie das Pferd sich unter ihr streckte. Alles war leicht und schwebend, der Boden glitt wie ein frostweißes Seidentuch unter ihr dahin.
Wir fliegen!, dachte sie fasziniert.
Ravensburg, Ende des 15. Jahrhunderts. Die Schmiedetochter Magdalene arbeitet als Dienstmagd bei der reichen Kaufmannsfamilie Humpis. Sie ist dankbar für die gut bezahlte Stelle, durch die sie ihren verwitweten Vater und ihre drei Schwestern unterstützen kann. Wie viele Ravensburger aus der Unterstadt fristen die aufgrund eines Jahres voller verheerender Hagelstürme und Missernten fast alles verloren.
Die Humpis, ein privilegiertes Leben voller Prunk und politischem Einfluss gewohnt, kümmert die Not der armen Leute in der Stadt wenig – bis ungefähr zeitgleich zwei Fremde nach Ravensburg kommen: Lucio ist der Sohn einer befreundeten Kaufmannsfamilie aus Italien, die in Ravensburg Geschäfte abschließen will. Nur Magdalene erkennt, dass Lucio nicht der freundliche Charmeur ist, als der er sich ausgibt. Der zweite Besucher ist der Dominikanermönch Heinrich Kramer, ein Inquisitor, der gerade an seinem Vermächtnis schreibt: dem Malleus Maleficarum – dem Hexenhammer.
Und der hat für die Unwetter, die viele Ravensburger ins Unglück gestürzt haben, schnell einen Sündenbock parat: Hexen stecken hinter dem Wetterzauber. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Gerede von Zauberei und Teufelswerk in Ravensburg und es dauert nicht lange, bis die ersten Verdächtigen in den Kerker geworfen und unter Folter verhört werden. Auch der gutmütige Beno Humpis, Enkelsohn von Magdalenes Herrschaft, lässt sich von Heinrich Kramers schaurigen Geschichten überzeugen und wird Protokollant bei den Hexenprozessen. Doch dann gerät Magdalene ins Visier der Inquisition.
Endlich, vier Jahre nach “Wolfszeit“, legt Nina Blazon mit “Feuerrot” wieder einen neuen historischen Roman vor. Ich verzichte hier mit Absicht auf das Wort “Jugendroman”; solche Label sind etwas, mit dem sich die Marketingabteilungen der Verlage gern herumschlagen dürfen, aber so oder so: diese spannende Geschichte “um Hexenwahn und Liebeszauber”, wie es auf dem Klappentext so schön heißt, wird ältere Semester ebenso in ihren Bann schlagen wie junge Leser.
Das liegt zum einen daran, dass “Feuerrot” gut recherchiert ist. Webt Nina Blazon ihre Phantastik-Romane aus dem Stoff, aus dem Märchen sind, so sind es in ihren historischen Büchern gleichsam gegenständliche Beschreibungen und, geschickt in die Handlung eingeflochten, kleine Details aus dem Volksglauben, die die damalige Zeit und den Schauplatz so greifbar machen: Vom getuschelten Gerede über Liebeszauber und einem ausgelassenen Fest in einem prunkvoll hergerichteten Wasserschloss bis hin zum Feuer des Hexenwahns ist es nur ein kleiner Schritt.
Auch wenn die eigentliche Handlung um eine der Hexerei angeklagte Dienerin, einen gutmütigen Kaufmannssohn und eine wunderschöne, sich nach der großen Freiheit sehnenden Patrizierin frei erfunden ist, so verknüpft die Autorin deren abenteuerliche Erlebnisse mit historisch verbürgten Tatsachen, was dem Buch eine authentische Atmosphäre verleiht.
Zum anderen liegt die Faszination von “Feuerrot” – wie in den meisten von Blazons Romanen – in den Figuren begründet. Magdalene, Beno und die Patrizierin Elisabeth: schnell werden sie auf den Seiten des Romans lebendig und nachvollziehbar. Aus ihren drei Blickwinkeln wird die Geschichte erzählt, in der es ebenso um Aberglauben und Hexenverfolgung geht, wie um das Lebensgefühl der Stadt Ravensburg im Jahr 1484: von der prunksüchtigen Kaufmannsfamilie Humpis bis hin zur bettelarmen alten Anna, die sich damit über Wasser hält, dass sie auf dem Markt Eier und Kräuter verkauft.
Wind allein macht noch keinen Sturm, sagt sich Magdalene am Anfang des Romans. Aber es ist ein schrecklicher Sturm, den Heinrich Kramer aus dem Wind entfacht, der ihn nach Ravensburg getragen hat. In “Feuerrot” zieht uns Nina Blazon mitten hinein in das Auge dieses Sturms. Und lässt uns nicht mehr los, bis wir die letzte Seite ihres neuen Romans umgeblättert haben. Wer von “Totenbraut” und “Wolfszeit” begeistert war, wird auch “Feuerrot” lieben.
Danke für die Rezension! Ich kann es kaum erwarten, dass Buch selbst in Händen zu halten :-)
Kommentar by Tatjana — 21. Februar 2016 @ 16:10
Seit heute gibt’s das ebook! Print kommt morgen offiziell rauß! ,-)
Kommentar by Darkstar — 21. Februar 2016 @ 16:14