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12. Mai 2016

Seanan McGuire: Every Heart A Doorway

Category: Hörbücher,Rezensionen – Darkstar – 21:00

Every Heart A DoorwayAlice fiel durch ein Kaninchenloch ins Wunderland  für Bastian Balthasar Bux wird ein Buch zum Portal nach Phantásien.

Die phantastische Literatur ist voll von jungen Weltenwechslern: Kinder, die ein Portal finden, durch das sie aus unserer Realität in eine andere gelangen. Kaum einer stellt sich die Frage, was aus diesen Kindern wird, wenn sie von ihren Abenteuern zurückkehren in ihr gewöhnliches Leben – und vielleicht feststellen müssen, dass sie nie mehr das Land der Wunder und Magie, das sie besucht haben, besuchen können.

Diese Kinder und Jugendliche stellt Seanan McGuire ins Zentrum ihrer Novelle “Every Heart A Doorway“. Bei ihr sind die Weltenwechsler nicht (mehr) die Auserwählten, die sich durch Labyrinthe kämpfen, um ihren entführten Bruder vom Koboldkönig zu retten, sondern die Verlorenen, nach aufregenden Abenteuern gefangen in einer Welt, zu der sie nicht mehr ganz gehören. Außenseiter sind sie, melancholisch oder gar depressiv, zum Schrecken ihrer Familien für immer verändert und irgendwie gebrochen.

Ein Zuhause, das ihnen ermöglicht, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und sich – vielleicht – ein neues Leben aufzubauen, bietet ihnen die alte Eleanor West mit ihrer Internatsschule “Home For Wayward Children”. Nancy, die die letzten Jahre in einer Unterwelt der Toten verbracht hat, kommt mit gemischten Gefühlen im Heim an. Verzweifelt hofft sie darauf, hier etwas zu lernen, dass es ihr ermöglicht, in “ihre Anderswelt” zurückzukehren; vermutlich wird sie hier jedoch nur Hilfestellung erhalten, die wahrscheinliche Aussicht zu akzeptieren, dass dies nie geschehen wird.

Was Eleanor West ihren Schülern jedoch vor allem bietet ist, ganz sie selbst zu sein; unter Menschen zu sein, die – so anders sie auch sein mögen – doch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und so sehr sich Kade, Sumi, Jack und Jill auch von Nancy unterscheiden, so hilft es Nancy doch, sich nicht mehr verstellen zu müssen …

Egal, was Seanan McGuire schreibt, es wandert meist ungefragt auf meine Lese-Liste. Die Frau trifft eigentlich fast immer meinen Nerv. Das ist bei “Every Heart A Doorway” nicht anders, auch wenn ich nicht so ganz in die Lobeshymnen mit einstimmen mag, die man sonst zu dieser Novelle zu hören bekommt.

Die Grundidee ist faszinierend und man muss es der Autorin hoch anrechnen, dass sie diese sehr sorgfältig durchdacht hat und sehr facettenreich präsentiert. Ebenso begeistert bin ich von den unterschiedlichen Figuren, bei denen McGuire sehr darauf geachtet hat, ein breites Spektrum unterrschiedlichster Charaktere abzubilden: wichtige Rollen spielen sowohl eine transsexuelle Figur als auch eine asexuelle Figur, und das Gefühl des Außenseiter-Seins, des sich-selbst-finden-müssens korrespondiert sehr gut mit den Geschichten der “verlorenen Kinder”.

Um die Handlung noch etwas aufzupeppen, geschieht bald nach Nancys Ankunft eine Serie schrecklicher Verbrechen und die Schüler von Eleanor Wests Heim sind hin- und hergerissen zwischen gegenseitigen Verdächtigungen und der Notwendigkeit, zusammenzuhalten, um den Täter zu finden …

Das alles ist ungewöhnlich, innovativ, divers und kurzweilig – und auch wenn mir “Every Heart A Doorway” Spaß gemacht hat, so hat es mich doch nicht so von den Socken gehauen, wie ich das im Vorfeld erwartet habe. Vielleicht lag es daran, dass meine Erwartungen sehr hoch waren; wahrscheinlicher ist jedoch, dass es an der sehr melancholischen Geschichte liegt. Anders als etwa die Toby Daye-Serie, die auch düster sein kann, vor allem aber temporeich und magisch und bunt wirkt, wirkt “Every Heart A Doorway” aufgrund seiner Motive traurig und stagnierend und viel nachdenklich stimmender. Das muss auch mal sein, ist aber natürlich ein ganz anderes Lese-Erlebnis.

Und auch, wenn ältere Leser zweifellos das Buch mit viel Genuss lesen können, so würde ich “Every Heart A Doorway” doch am ehesten als Jugendbuch oder All Ager bezeichnen. Das liegt an der Geschichte, am Thema, am Alter der Figuren – und nochmal Gratulation an Seanan McGuire, dass sie nicht mit falscher Scham auf den Zehenspitzen herumtrippelt, sondern bei einer Geschichte über jugendliche Protagonisten im Internat auch Dinge wie Homo- und Asexualität anspricht sowie das selbstverständliche Masturbieren bei Nacht.

Ich hab das Buch übrigens als Hörbuch gehört; und Cynthia Hopkins liest unspektakulär, aber treffend.

Eine Hörprobe gibt’s auf Audible.

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2 Comments »

  1. Ich mochte das Buch sehr gern, aber es ist schon die Geschichte, die mich am wenigsten emotional berührt hat – vermutlich aufgrund Nancys sehr distanzierter Erzählweise. Ich glaube, der Moment, der mich besonders betroffen gemacht hat, war die kurze Erwähnung der sich schließenden Tür unterm Bett. Dafür fand ich aber, dass dieser Roman sehr viel für die Vorstellungskraft zu bieten hat und einen – wie die Autorin es so oft hinbekommt – mit ganz anderen Augen auf vertraute Geschichten blicken lässt.

    Kommentar by Winterkatze — 14. Mai 2016 @ 13:28

  2. Ich weiß, was du mit der distanizierten Erzählweise meinst. Ich könnte mir vorstellen, dass die zweite Novelle eher was für mich ist – da geht es ja dann, wenn ich den Goodreads-Text richtig interpretiere, um Jack & Jill in den Mooren – und das klingt spannend!

    Kommentar by Darkstar — 16. Mai 2016 @ 22:19

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