Frisch neu aufgelegt als ebook wurde “Die Quellen der Malicorn“, Ju Honischs Beitrag zur Völkerfantasy, für die sie sich der Rasse der Einhörner angenommen hat.
Einhörner, echt jetzt?!?, habe ich Ju bereits 2013 gefragt, als das Buch erstmals bei Heyne im Print erschien. Damals hat sie in einem Gastbeitrag erklärt, wie es dazu kam, dass sie den Roman verfasst hat.
Im Interview heute verrät sie noch viel mehr über das Buch und erklärt uns auch, warum ihre Einhörner nicht glitzern …
Interview mit Ju Honisch zu DIE QUELLEN DER MALICORN
Welche Schlagworte oder Farben beschreiben die Atmosphäre von DIE QUELLEN DER MALICORN für dich am Besten?
Grün und grau.
Teile des Buches spielen in Irland, da versteht sich grün von selbst. Ganz unglaublich grün sogar, in vielen, vielen Schattierungen. Auch die Anderwelt ist eine grüne Welt. Es gibt nur wenige Menschen, und die anderen Wesen, die dort leben, können zwar der Ästhetik schöner Architektur etwas abgewinnen, bräuchten aber nicht unbedingt Gebäude zum Überleben. Es gibt welche, doch die Welt ist eine grüne Welt voller Wiesen, Weiden und Wälder. Die wenigen Menschen haben sich natürlich Behausungen gebaut. Und die Mächtigen der Welt haben Burgen.
Doch manches ist auch grau. Die Welt der Tyrrfholyn ist geteilt. Ein riesiges Gebirge teilt die Südhälfte von der Nordhälfte. Es ist ein dunkles Gebirge, eckig, kantig, glatt und unüberwindlich. Dunkelgrau. Es ist aus dem Boden gestiegen um zwei verfeindete Seiten zu trennen und einen Krieg zu beenden. Talunys, das Land selbst, hat hier eingegriffen.
Der Friede ist ein Zwangsfriede. Er dauert an, doch der Konflikt wurde nie gelöst. Der Konflikt zwischen wohlmeinend und ausbeuterisch, zwischen tolerant und erbarmungslos, zwischen Gut und Böse, zwischen grün und grau.
Stell uns doch bitte deine beiden Hauptfiguren vor.
Da ist einmal Una, die junge Deutsche mit dem irischen Vornamen.
Sie ist achtzehn, hat ein druckfrisches Abitur in der Tasche und grämt sich, weil ihr Freund dann doch lieber mit einer anderen in den Urlaub gefahren ist. Unas Eltern sind und waren immer große Irlandfans. Sowohl Una als auch ihre Eltern sind ausgezeichnete Musiker und lieben irische Musik. Unas „Noturlaub“ mit Mutter statt Freund, in Irland statt in Spanien, bringt sie zum x-ten Mal auf die Grüne Insel, wo sie wütend, enttäuscht und genervt herumfährt, um den wohlgemeinten Ratschlägen der familieneigenen Psychotherapeutin – nämlich ihrer esoterisch angehauchten Mutter – zu entgehen. „Sieh es doch mal positiv …“ ist nichts, was sie hören will. Sie pfeift auf positiv.
Sie trifft Kanura, als dieser verwundet neben einer Heiligen Quelle liegt.
Kanura stammt aus der Anderwelt, deren Zugänge jahrhundertelang geschlossen waren. Kanura ist kein Mensch, doch er kann so aussehen. Er hat eine menschliche Erscheinungsform, sozusagen eine zweite Identität neben der ersten. Denn eigentlich ist er ein Einhorn.
Kanura ist ein leichtsinniger, durchaus sinnenfroher Mann – und Hengst. Seine Unvorsichtigkeit hat ihn fast umgebracht. In einer Zeit, in der sein Land einer Krise, vielleicht sogar einem neuen Krieg entgegen geht, schafft er es, konsequent stets an der falschen Stelle aufzutauchen.
Im Grunde ist er aber ein guter Kerl, nicht weil er ein Einhorn ist und nicht anders kann, sondern weil es der Weg ist, den er eingeschlagen hat: Sein wichtigster Satz: „Niemand im ganzen Universum ist ausschließlich friedliebend, gütig und nett. Es zu sein, erfordert immer die Entscheidung, es sein zu wollen.“
Darüber hinaus beschreibt er seine Interessen: „Die Freiheit des Seins. Die Weite der Welt. Die Geschwindigkeit, wenn man mit dem Wind um die Wette rennt. Spaß mit Freunden. Oh, und Sex.“
Wenn sie “Fantasy” und “Einhorn” hören, denken die meisten Leser sicher zuerst an Peter S. Beagle. Inwiefern unterscheiden sich deine Einhörn vom “Letzten Einhorn”?
Die Einhörner – Tyrrfholyn und Mardoryx – von Talunys, sind nicht alle weiß.
Sie sind nicht alle wunderschön.
Sie treten in den unterschiedlichsten Rassen, Größen und Farben auf – wie Pferde auch.
Dennoch haben sie wenig gemein mit Pferden. Sie sind weltklug und kultiviert. Und mächtig. Sie haben ihre eigene Magie, die von der Kraft ihrer Welt gespeist wird.
Es ist lange her, dass ich Peter S. Beagle gelesen habe. Ich meine mich zu erinnern, dass das letzte Einhorn ein Wesen war, das von sich aus gut und rein war, wie in der christlichen Tradition, in der das weiße Einhorn ein Symbol für Christus war.
Die Einhörner der Anderwelt haben die Wahl, wie sie sein wollen, welchen Vorstellungen sie folgen. Sie übertreffen an Macht die anderen Lebewesen ihrer Welt. Manche sehen das als Verpflichtung an. Manche als Möglichkeit zur Ausbeutung.
Entsprechend gibt es im Buch – grob gesagt – gute und böse Einhörner. Wenn sie gut sind, sind sie ziemlich gut. Aber wenn sie böse sind, sind sie abgrundtief böse.
Bei einer Leserunde hat es mir ein Gruppenleser mal sehr übelgenommen, dass meine Einhörner so gar nicht wie die von Peter S. Beagle sind. Aber warum sollten sie das sein? Ich bin nicht Peter S. Beagle. Tatsächlich hätte ich eine Aussage „Deine Einhörner sind genau wie bei Peter S. Beagle“ als Kritik an meiner Phantasie verstanden.
Auf der World Science Fiction Con in London 2014 hatte ich bedruckte Stoffklebis dabei. Auf amerikanischen Cons ist es Sitte, sich so was an sein Namenschild zu kleben. „Join the fight against racist unicorns!“ stand da drauf.
Die Dinger sind weggegangen wie warme Semmeln, und alsbald rannten Hunderte von Con-Besuchern mit dem Spruch unter dem Namensschild rum – ohne zu wissen, auf was es sich bezieht, denn das Buch ist nie auf Englisch erschienen.
Warum glitzern deine Einhörner nicht?!
Glitzer war aus.
Sollte es Harald Glööckler je in die Anderwelt verschlagen, kann er die Tyrrfholyn und Mardoryx ja neu durchstylen.
Tatsächlich tragen die Einhörner von Talunys in ihrer menschlichen Erscheinungsform Kleidung. Und die Menschen machen ihnen bisweilen Schmuck, weil sie Menschen sind und finden, der Obrigkeit stünde so etwas zu. Und die Tyrrfholyn freuen sich dann über die Schönheit der Gegenstände und die Kunstsinnigkeit der Menschen.
Aber wenn sie anfangen würden, von selbst zu glitzern, würde ich das meinen Einhörnern wirklich übelnehmen.
Was war das Spannendste oder Absurdeste, was du bei deiner Rechercher über Einhörner herausgefunden hast?
Man nimmt an, dass die ersten Beschreibungen sich auf Nashörner beziehen. Wenn ich mir so ein Nashorn vorstelle, bekommt das mit dem weißen Edelglitzer gleich eine völlig andere Richtung.
Das Abstruseste war für mich allerdings die heutige esoterische Richtung des Einhornglaubens. Hier sind Einhörner Wesen der Lichtebenen, ebenso wie Engel, und zählen zu den Wesen der 7. Sphäre. Es gibt Menschen, die glauben fest an sie und wollen ihnen auch schon begegnet sein.
Das Schöne daran ist, sie dürfen das glauben, und das ist gut so. Das nicht so Schöne – rein subjektiv und nur meine eigene Meinung widerspiegelnd – ist, dass auch das für mich wiederum ein Beweis ist, dass wir uns in einer „postfactual society“ befinden, einer Gesellschaft, in der es für manche leichter ist, an das nette Einhorn auf Wolke 7 zu glauben, als daran, dass Masernimpfungen gegen Masern schützen.
Ich bin Fantasy-Autorin. Ich bin der Meinung, dass Phantastik nicht dazu beiträgt, die Realität zu unterwandern, sondern vielmehr dazu, das Reale vom Nichtrealen trennen zu lernen. Um Unas Mutter zu zitieren: „… man wächst in seinem Kulturkreis auf und bekommt den Unterschied zwischen Phantasie und Wirklichkeit beigebracht. Unsere gesamte Zivilisation stützt sich darauf, dass wir glauben, diesen Unterschied zu kennen.“
Im Verlauf des Romans wechselt Una in die Welt der Talunys. Was reizt dich persönlich vor allem an der sogenannten Weltenwechsel-Fantasy?
Ich finde Weltenwechsel-Geschichten schon deshalb schön, weil hier das Erstaunen größer ist. Ein Bewohner in einer Welt, in der Magie möglich ist, staunt nicht über deren Existenz. Er mag sich darüber ärgern oder freuen, aber es ist „normal“. Erst der „Weltenbruch“ setzt das Erstaunen in Gang, das Umdenken.
Der Blick von „außen“ ist zudem ein immer wieder verwendetes Erzählmittel, um Dinge schärfer darzustellen. Schon in „Gulliver’s Reisen“ hat Jonathan Swift zu diesem Mittel gegriffen, um Sachverhalte aufzuzeigen, zu überhöhen oder zu entlarven – letztlich aber die eigene Welt zu spiegeln.
Umgekehrt gibt es das auch: z.B. der Mars-Mensch, der auf die Erde kommt und sie aus seinem völlig neuen, erhellenden Blickwinkel darstellt.
Una kommt in eine Welt, die ihr neu und fremd ist, die beunruhigend ist und sie all der Lebenserfahrung beraubt, die man im allgemeinen als Werkzeug dafür nimmt, wem man trauen darf und wem nicht oder wie man reagieren soll. Wenn alles, was man gelernt hat, nicht hilft, einem ein klares Verständnis der Sachlage zu geben, so ist das zutiefst beängstigend.
Die neueste Hirnforschung ist der Meinung, dass wir die meisten unserer Entscheidungen spontan aus dem Erfahrungshorizont heraus treffen, den wir haben. Und dass die Reflektion zur Entscheidung im Grunde erst erfolgt, wenn der „Bauch“ schon ja oder nein gesagt hat. Sie ist dann primär dazu da, die Rationalisierung zu finden, die uns unsere eigene Entscheidung als sinnreich darstellt.
Wenn das so ist, so ist der Weltenwechsel ein Zurückschrauben auf Null, denn hier gibt es nicht viel, auf das das Unterbewusstsein zurückgreifen könnte, um eine gefällige Entscheidung zu treffen. Das macht Angst. (Und deshalb sind manchen Reaktionen Unas manchmal auch ein wenig wirr.) Aber es gibt den HeldInnen auch die Möglichkeit, die Entsprechungen zu sehen – klarer vielleicht als im Wirrwarr des Hier und Jetzt.
Vielen Dank!
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Foto “Join the Fight against racist unicorns” (c) Ju Honisch