Dass Märchen aus dem fantastischen Es war einmal-Zeitalter in unsere Wirklichkeit geholt werden, ist mittlerweile ein gängiges Erfolgsrezept. US-Autorin Marissa Meyer geht sogar noch einen Schritt weiter und versetzt vier sehr bekannte Grimms Märchen in die Zukunft. Ihr Aschenputtel ist eine Cyborg-Mechnikerin im Teenager-Alter, die in einem fernöstlichen Kaiserreich aufgezogen wird, das von der Königin des Mondes mit Krieg bedroht wird. Rotkäppchens Großmutter arbeitete als Raumschiffpilotin für das französische Militär. Und ihr Rapunzel wird nicht in einem hohen Turm gefangen gehalten, sondern in einem Satelliten.
Vor kurzem ist in den USA “Scarlet“, der zweite Teil der “Lunar Chronicles“, erschienen. In diesem Zusammenhang habe ich die Autorin Marissa Meyer um ein Interview gebeten:
Interview mit Marissa Meyer
Cinder ist eine recht burschikose Mechanikerin aus New Bejing mit einem Hang zum Sarkasmus. Wie würdest Du Scarlet, Cress und Winter beschreiben?
Scarlet ist die lebhafteste (kratzbürstigste) von ihnen allen – sie kann einfach nicht den Mund halten, wenn sie Ungerechtigkeit bemerkt, und das bringt sie immer in Schwierigkeiten.
Cress andererseits ist sehr scheu. Sie wurde ihr ganzes Leben lang auf einem Satelliten gefangen gehalten, deshalb ist sie sozial etwas inkompetent und hat einen Kopf voller romantischer Ideale – zumindest, bis die reale Welt über sie hereinbricht.
Winter hat einen rebellischen Charakterzug. Obwohl sie auf den glanzvollen Höfen Lunas aufgezogen wurde, hat sie sich bereits als kleines Mädchen fest vorgenommen, keinesfalls zu einer zweiten Königin Levana zu werden, und sich dazu entschieden, ihren Glamour nicht zu benutzen – niemals. Unglücklicherweise bedeutet das, dass sie langsam verrückt wird.
Was hat Dich zu dieser Buchreihe inspiriert?
Vor Jahren habe ich an einem Kurzgeschichtenwettbewerb teilgenommen, für den ich eine Science Fiction-Version vom “Gestiefelten Kater” geschrieben habe. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, deshalb habe ich angefangen, darüber nachzudenken, auf welche Art und Weise ich einige meiner Lieblingsmärchen futurisieren könnte. Ein paar Monate später kam mir die Idee einer Cyborg-Cinderella, und von da an verselbstständigte sich die Geschichte.
Mir kam die Idee, diese vier Märchen (Aschenputtel, Rotkäppchen, Rapunzel und Schneewittchen) miteinander zu kombinieren und daraus einen Mehrteiler zu machen, in dessen Verlauf die Märchenprinzessinnen schließlich aufeinandertreffen und sich als Rebellen gegen die böse Königin zusammen schließen. Ich habe mich so sehr in diese Idee verliebt, dass ich sie einfach schreiben musste!
Du bist also selbst ein Märchenfan. Welches ist Dein Lieblingsmärchen?
Ich liebe Märchen, seit ich ein kleines Kind war und Arielle die Meerjungfrau im Kino gesehen habe – ich war ganz schön geschockt, als ich später erfahren habe, wie sehr sich der Film vom ursprünglichen Märchen von Hans Christian Andersen unterscheidet. Auch auf dem College habe ich mich mit Märchen beschäftigt, als ich einen Kurs besucht, der die Symbole und die Psychologie hinter diesen Geschichten untersuchte. Das faszinierte mich sehr und ist wohl hauptsächlich dafür verantwortlich, dass ich mich auch weiterhin für Märchen interessiere.
Aber ein einziges Lieblingsmärchen zu benennen, das kann ich glaub ich nicht. Ich tendiere dazu, mich von jenen Märchen angezogen zu fühlen, von denen jeder glaubt, dass er sie kennt, die allerdings tatsächlich eine sehr dunkle Vergangenheit haben, die heutzutage kaum mehr jemand kennt. Wie zum Beispiel, dass in manchen Versionen von Rotkäppchen Kannibalismus und ein Striptease eine Rolle spielen. Ungelogen.
Märchen stehen in der Film- und Fernsehindustrie gerade hoch im Kurs. Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Es ist schwierig zu sagen, weshalb eine Sache das kulturelle Unterbewusstsein zu einer bestimmten Zeit anspricht. Vielleicht sehnen sich die Leute nach etwas Nostalgie oder den Eskapismus, der mit „Glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ einhergeht. Oder vielleicht verläuft tatsächlich alles in Zyklen und Märchen sind gerade wieder an der Reihe.
Was auch immer der Grund dafür ist, ich bin ziemlich froh darüber. Nicht nur, weil das Timing meinen Büchern gerade sehr gelegen kommt, sondern auch, weil ich es liebe, mir anzusehen, was andere kreative Köpfe mit diesen alten Erzählungen anstellen!
Ich bin ehrlich davon überzeugt, dass auch Cinder einen ziemlich coolen Hollywood-Streifen abgeben würde. Wie stehen da die Chancen?
Ich hoffe darauf! Momentan sprechen wir mit einem Hollywood-Studio bezüglich der Filmrechte und ich hoffe, dass ich schon in wenigen Monaten zum Thema etwas verkünden kann. Es heißt wohl Daumen drücken, dass daraus etwas wird …
Wann hast Du mit dem Schreiben angefangen und wie hast Du bemerkt, Talent dafür zu besitzen?
Ich habe schon als kleines Kind Geschichten geschrieben. Ich erinnere mich daran, sie meiner Mutter zu diktieren, ehe ich selbst Schreiben konnte.
Was Talent angeht – ich vermute, ich wurde gut, als ich als Teenager damit begann Sailor Moon-Fanfiction zu schreiben. Zunächst machte es mir einfach Spaß, so meine Liebe für die Serie auszudrücken, aber irgendwie wurden dann aus meinen Lesern sogar Fans, die mich dazu ermutigten, mich an einem eigenen Roman zu versuchen.
Ich werde immer sehr dankbar sein für die Unterstützung der Fanfiction-Community!
Wie sieht ein durchschnittlicher Arbeitstag für Dich aus?
Ein durchschnittlicher Tag? Was soll das sein? Ganz ehrlich: Meine Tage sind ganz unterschiedlich. Manchmal konzentriere ich mich zwölf Stunden und mehr auf nichts anderes als auf das Schreiben und Überarbeiten, dann wieder stecke ich bis zum Hals in Promotion-Arbeit und schlussendlich gibt es auch Tage, an denen ich nur auf der Couch herum lümmele und vom Aufstehen bis zum Zubettgehen nichts anderes mache als Lesen. Durchschnittliche Tage gibt’s bei mir nicht.
Ich habe aber eine Vorstellung, wie ein idealer Arbeitstag für mich aussehen könnte: Ein oder zwei Stunden Social Networking oder Bloggen am Morgen; danach vier bis fünf Stunden Arbeit am aktuellen Manuskript; anschließend ein paar Stunden Promotion und Geschäftskorrespondenz am Nachmittag – und am Abend einfach nur Lesen und eine schöne Zeit mit meinem Ehemann verbringen.
Hast Du irgendwelche seltsamen Angewohnheiten beim Schreiben?
Ich muss beim Schreiben unbedingt Socken tragen. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich kalte Füße haben. Das ist aber nicht so seltsam, wie Du gehofft hattest, oder?
Weshalb hast Du Dich dafür entschieden, hauptsächlich für Jugendliche zu schreiben?
Das war weniger eine bewusste Entscheidung als etwas, dass sich natürlich aus dem heraus ergeben hat, was ich schreiben wollte. Ich begann mit der Arbeit an meinem ersten Romanversuch mit 16. Diesem folgten in den nächsten zehn Jahren ein ganzer Haufen weiterer unvollendeter Versuche. Ich wurde älter, meine Charaktere aber nicht.
Wenn Du eine fiktive Figur auf einen Kaffee treffen könntest: Wer wäre das und warum?
Han Solo, Captain Mal Reynolds oder – aus meiner eigenen Geschichte – Captain Carswell Thorne, den die Leser im zweiten Roman kennen lernen werden. Offenbar habe ich etwas übrig für Raumschiff-Captains!
Vielen Dank!
Marissa Meyers Website: hier!
Meine Rezensionen zu den “Lunar Chronicles”: hier!